Weibergemeinschaft. Eigentumsrecht als ideologisches Moment des Zwangscharakters Prostitution.

Voller Überzeugung wirft Tess Hermann in der Frankfurter Rundschau in die Debatte zur Reform des Prostitutionsgesetzes von 2016 ein, dass die „Sexarbeit“ ein „Job wie jeder andere“ sei, denn es gehe schließlich darum, „über die Runden zu kommen“ und ebenso wie das Kellnern gebe es „Nachtschichten, zugerauchte Kneipen und alkoholisierte Gäste“. Lediglich die „Stigmatisierung“ der Prostitution durch den Gesetzgeber sei hier das Problem, da es „einer offenen Debatte über ihre Vor- und Nachteile [der Prostitution Anm. B.W.] im Weg“ stehe. Menschenhandel und Zwangsprostitution – andere Gewaltverbrechen werden gar nicht angerissen – seien dagegen locker durch eine Legalisierung in den Griff zu kriegen.[i] Der genannte Artikel wartet nicht nur mit dieser Lüge auf, denn eine im Auftrag der Europaparlaments erbrachte Studie fasst 2014 u. a. zusammen, dass in Ländern, die Prostitution legalisierten einen Anstieg des Menschenhandels zu verzeichnen ist,[ii] der Artikel benötigt diese Lüge, insofern er pars pro toto für die Ignoranz liberalen Denkens gegenüber der Arbeitsform Prostitution und der sie zeitigenden bürgerlichen Eigentumsverhältnisse steht.
Im Folgenden wird ein Beitrag zur Debatte über die Prostitution als Gegenstand feministischer Agitation vorgestellt, der Prostitution als geschlechtsabhängige Folge der bürgerlichen, kapitalistischen Vergesellschaftung und das Eigentumsrecht als ideologisches Moment zur Verschleierung der in der Prostitution angelegten materiellen Ungleichheit der Geschlechter fasst. Daraus folgert der Beitrag, das Ziel der Aufhebung der Prostitution als kommunistische Forderung gegen liberalen Feminismus aufrechtzuerhalten.
Geschlechterverhältnis und Erwerbsarbeit
Im Geschlechterverhältnis der Prostitution liegt der bestimmende Unterschied zu anderen Berufen, weshalb die Kritik der Prostitution sich nicht in der formalen Kritik der Produktionsverhältnisse erschöpft. Durchaus – so mag man einwenden – gibt es eine Vielzahl geschlechtsspezifischer Berufszweige, etwa die Care-Arbeit, das Frisör- oder das Bauhandwerk. Geschlechtsspezifische Berufe stehen aber formal allen Geschlechtern offen, da die Dienstleistung nicht an das Geschlecht gebunden und insofern frei austauschbar ist. Für die Käufer/-innen der Ware ist es formal irrelevant, welche Arbeitskraft den Warenwert erzeugte. Der Haarschnitt ist formal unabhängig davon, ob die ihn ausführende Arbeitskraft männlich oder weiblich ist.[iii] Dass es dennoch typisch „weibliche“ Berufszweige gibt, hat historisch-politische Gründe. Die politischen Schranken, die Frauen die Ausübung männlicher Berufe versagten, erodierten, wobei die ökonomischen Verhältnisse diesen Erosionsprozess vorantrieben. Als in der letzten Blütenphase fordistischer Arbeitsweise die Hausfrauenehe nicht mehr ein ausschließlich der bürgerlichen Kleinfamilie vorbehaltene Beziehungsform war und damit die finanzielle Stärke des männlichen Familienvorstands bewies, sondern auch von der Arbeiterklasse erreicht wurde, verlor die Hausfrau ihre Funktion als bürgerliches Statussymbol. Um weiterhin die Distanz zur Arbeiterklasse zu wahren, wurde die Arbeit der Frau zum chic. Die Arbeitslast erforderte und das Einkommen ermöglichte die Externalisierung der Reproduktionsarbeit in den Dienstleistungssektor, der durch sein Anwachsen auch einen Großteil der neuen, weiblichen Arbeitskräfte absorbieren konnte.
Frauenerwerbsarbeit ist jedoch kein Novum der postfordistischen Gesellschaft. Sowohl bezüglich des Frauenanteils von Erwerbspersonen als auch bezüglich der weiblichen Erwerbsquote schwankt die Frauenerwerbstätigkeit in sich industrialisierenden Gesellschaften – gemessen an Frankreich, Österreich, Großbritannien und Deutschland seit 1850 – zwischen 30 und 40 Prozent.[iv] Insbesondere zwei Faktoren prägten die Berufsfelder, die Frauen seit der Industrialisierung offen standen:Zum einen war die Aufsplittung in komplexe Arbeiten, die hohe Qualifizierung erfordern, und in vereinfachte, unqualifizierte Tätigkeiten maßgeblich, was sich am Fließband zeigte, an dem vor allem Arbeiterinnen standen; zum anderen standen die Berufszweige Frauen offen, die an die bereits von Frauen ausgeübten Haus- und Carearbeit anknüpften und zwar vom Dienstmädchen zur Volksschullehrerin.[v] Einer dieser Tätigkeitsbereiche ist die Prostitution.
Entgegen der geschlechtsspezifischen, aber dennoch vom Geschlecht abstrahierbaren Berufen stellt in der Prostitution die Ware selbst gerade geschlechtsbezogene Sexualität dar und ist an die Geschlechtlichkeit der Arbeitskraft gebunden. Das Spezifikum der Prostitution im Vergleich zu anderen Berufsfeldern ist, dass sie von einem Geschlecht ausgeführt werden muss, faktisch von Männern gekauft und von Frauen angeboten wird.[vi] Der Zuhälter kann seine Prostituierte, fällt sie aus, nicht selbst ersetzen. In europäischen Ländern kauften nach Erhebungen von 1998 und 2000 zwischen zehn und 20 Prozent der Männer bereits mindestens einmal Sex[vii].
Da diese Arbeit nicht nur geschlechtsspezifisch, sondern geschlechtsabhängig ist, tritt in der Prostitution die männliche Autorität über den weiblichen Körper, also das patriarchale Geschlechterverhältnis, als Vertrag den Geschlechtern gegenüber. Dieser Vertrag bricht männliche Autorität aber nicht, sondern legalisiert sie. Da die geschlechtliche Abhängigkeit der zum Markte getragenen Haut das wesentliche Spezifikum der Arbeitskraft ist, benötigt die Kritik des spezifischen Produktionsverhältnisses feministischen Gehalt, um das Besondere an der Prostitution zu begreifen.
Konsens und Ungleichheit
Das patriarchale Geschlechterverhältnis ist der Dienstleistung Prostitution eingeschrieben und beides durch das bürgerliche Eigentumsrecht als ideologisches Moment verschleiert. Die weibliche Sexualität ist in der Prostitution formal frei und die Prostituierte gleicht de jure dem Zuhälter und dem Freier. Mit der Prostitution erkauft sich der Mann allerdings das zeitweilige Recht auf die Sexualität der Frau, die wiederum ihre Sexualität für die Bedürfnisse des Mannes zur Warenform trimmt. Die Prostituierte muss sich von ihrer Sexualität entfremden, um sie – dem stummen Zwang des Marktes folgend – veräußern zu können. Da die weibliche Sexualität dem auf dem Markt vorherrschenden männlichen Bedürfnis angepasst, angeboten, verkauft und konsumiert wird, erfährt sie sich als Warenform. Die Ideologie der Eigentumsverhältnisse verschleiert diese Veräußerung der weiblichen Sexualität jedoch, indem die Sexualität als Eigentum noch der Frau zugeschrieben wird und vermeintlichen Konsens als Vertrag codiert. Dabei wurde ein Repertoire ideologischer Begriffe geschaffen, um das Verhältnis ungleicher Gleicher zu kaschieren. Formal frei und doch unfrei gehört die Sexualität der Prostituierten nicht mehr der Prostituierten selbst, was die Prostitution als die Negation selbstbestimmter weiblicher Sexualität nahelegt.
Im Manifest der kommunistischen Partei sprechend demzufolge Marx und Engels davon, dass die Weibergemeinschaft ein Verhältnis ist, „was ganz der bürgerlichen Gesellschaft angehört und heutzutage in der Prostitution vollständig besteht“[viii] Dabei versteht Marx unter Weibergemeinschaft eine materielle Situation, „wo also das Weib zu einem gemeinschaftlichen und gemeinen Eigentum wird“,[ix] dem die Ehe als Form des exklusiven Eigentums gegenübersteht. Die Frau – metonymisch für die von ihr veräußerte Sexualität – steht in der Prostitution allen Männern als Eigentum zur Verfügung. Gleichwohl wird der Verkauf der Sexualität durch das Zwangsverhältnis, geschaffen aus dem allgemeinen Zwang zum Verkauf der Ware Arbeitskraft und der ökonomischen Abhängigkeit der Frau vom Mann durch den, den Produktionsverhältnissen eingeschriebenen Geschlechterverhältnissen, für viele Frauen zur Notwendigkeit. Dazu bietet das Rechtsverhältnis das folglich notwendig falsche Bewusstsein an. Denn dieser bürgerlich-verbriefte Vertrag ist das Possenstück zu der Wahrheit, an den die Hoffnung auf die feministische Rede vom konsensualen Sex sich zu klammern versucht:
Einer Studie von Melissa Farley zufolge wurden zwei von drei der 130 in San Francisco befragten Frauen mindestens einmal vergewaltigt, während sie als Prostituierte arbeiteten. Diese Zahlen bleiben im internationalen Vergleich – folglich also bei verschiedenen Rahmenbedingungen – stabil.[x] Die Enteignung der Sexualität und die gleichzeitige Verschleierung durch die Ideologie der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse – der Konsens durch Vertrag – tritt dann trotz der Rede vom „Job wie jeder andere“ zutage, wenn der Bundesgerichtshof 2001 feststellt, dass eine Prostituierte auch dann nicht als vergewaltigt anzusehen ist, wenn der Täter den Beischlaf „erzwingt“, sofern „zu deren Durchführung sich das Tatopfer zuvor gegen Entgelt freiwillig bereit erklärt hatte.“[xi] In solchen Fällen wird Prostitution zur legalen Vergewaltigung. Die eigene, weibliche Sexualität kann im bürgerlichen Eigentumsrecht als männliches Gemeingut erworben und darauf zugegriffen werden. Die Rede von der freien Sexualität qua Verkauf ist dementsprechend Ideologie.
Gekaufte Freundinnen
Die Enteigung weiblicher Sexualität durch den Markt zeigt sich auch in den praktischen und psychischen Folgen der Entfremdung. Sowie Entfremdung die Vorbedingung zur Umwandlung von Dingen in Waren ist, bedingt die Transformation des Sexus zur Ware die Abspaltung des Sexus von der personalen Identität der Prostituierten. Laut einer Studie von Melissa Farley, die knapp 900 Prostituierte in neun verschiedenen Ländern (darunter auch Deutschland) befragte, leiden zwei von drei Prostituierten unter posttraumatischer Belastungsstörung. Etwa 89 Prozent der Befragten wollen der Prostitution zwar entkommen, sehen aber keine andere Möglichkeit, um zu überleben [xii] In einer konzeptionellen Studie schlussfolgert Farley aus den bisher vorliegenden qualitativen und quantitativen Studien zur psychischen Verfassung von Prostituierten:

In all prostitution there is commodification of the woman’s body. This commodification often results in internalized objectification, where the prostituted woman begins to see sexually objectified parts of her own body as separate from, rather than integral to her entire self. This process of internalized objectification leads to somatic dissociation, even in prostitution where there is no physical contact between the woman and the john. […] Most women report that they can not prostitute unless they dissociate. Chemical dissociation aids psychological dissociation, and also functions as analgesic for injuries from violence. When women in prostitution do not dissociate, they are at risk for being overwhelmed with pain, shame, and rage.[xiii]

Um den psychischen Folgen dieser Transformation zu entkommen, trainieren sich Prostituierte häufig Residuen zur Aufrechterhaltung personaler Integrität in Form körperlicher Schutzorte an. Bekannt ist beispielsweise das Verbot des Küssens. Indem der Kuss zum Akt intimer Zuneigung aufgeladen und dem Freier untersagt wird, schaffen sich Prostituierte unverletzte, jedoch auch kleine und fragile Grenzräume. Diese Grenzräume werden aber mit dem seit einigen Jahren florierenden „Girlfriend-Sex“ zerstört. Wie der Name andeutet, geht der Girlfriend-Sex darum, die Vorstellung von Intimität beim Freier herzustellen, wobei damit freilich nicht die alltägliche Sexualität einer schnöden romantischen Zweierbeziehung dargeboten werden soll. Weder muss sich der Freier darum sorgen, dass sein „Girlfriend“ vielleicht zu müde ist oder sie von zu vielen Alltagssorgen getrieben ist, als dass sie Sex haben könnte. Er muss sich auch nicht darum Sorgen, sein „Girlfriend“ mit seinen eventuellen Gelüsten zu verschrecken. Denn der Konsens wurde schon erkauft. Mit „Girlfriend-Sex“ wird eine „Dienstleistung“ angeboten, die davon lebt „eine Illusion von Unmittelbarkeit und Echtheit zu verkaufen, um die sie notwendig betrügen muss.“[xiv] Zur Aufrechterhaltung dieser Illusion müssen die zuvor gesetzten Residuen aufgelöst werden, da es gerade die mit Intimität besetzten Elemente der Körperlichkeit sind, die der Freier erwerben will und die, sofern sie dennoch Vorenthalten werden, die Illusion der Unmittelbarkeit platzen lassen.
Zwischen Paternalismus und Zynismus
Gegen die Abolitionsbestrebungen eingewandt wird erstens, dass eine Verbesserung der Arbeitsverhältnisse die unmittelbaren und mittelbaren negativen Folgen der Prostitution für die Prostituierten mindern und den Beruf zu einem erträglichen umgestalten kann. Ein Verbot der Prostitution dränge Prostituierte zudem in die Illegalität ab. Die Abolitionist/-innen reduzierten zweitens Prostituierte auf reine Opfer und könnten Prostitution gar nicht als selbstbestimmten Berufsweg anerkennen. Insgesamt sei der radikalfeministische Abolitionismus nicht zur Solidarität mit, sondern nur zum Paternalismus gegenüber Prostituierten fähig.
Dem entgegen steht der Vorwurf des Zynismus angesichts der desaströsen Effekte der Prostitution auf die Prostituierten, der neun von zehn Prostituierten zwar entkommen wollen, aber nicht entkommen können, noch selbstbestimmtes Handeln erkennen zu wollen. Des Weiteren stützen sich Abolitionist/-innen in der Mehrheit auf das sog. Nordische Modell, das als wesentliches Element den Kauf von Sex (und nicht den Verkauf) illegalisiert. In Schweden gilt das Sexkaufverbot seit 1999, in Norwegen seit 2009. Folgen des Modells – das neben der Illegalisierung des Sexkaufs auch Aufklärungskampagnen bei Jugendlichen und Exitstrategien für Prostituierte enthält– sind durchweg positiv. Das Netzwerk Abolition2014 konstatiert nach Durchsicht der vorhandenen schwedischen und norwegischen Studien bezüglich der Folgen des Sexkaufverbots, dass die Zahl der Prostituierten zwar sank, Prostitution aber keineswegs in den Untergrund abwanderte. Der Menschenhandel ging zurück und die vor allem in Norwegen herrschenden Kartelle investierten aufgrund des unsicheren Marktes weniger in die Prostitution.[xv] Darüber hinaus werden Prostituierte durch das Sexkaufverbot gegenüber ihren Freiern in einen rechtlichen Vorteil gesetzt, da sie bei der Anzeige von im Rahmen der Prostitution begangenen Gewaltverbrechen keine Angst vor Repressalien befürchten müssen und z.B. angezeigte Vergewaltigungen – anders als in Deutschland – auch tatsächlich juristisch geahndet werden. Folglich erlaubt das Verbot des Sexkaufs bei gleichzeitiger Etablierung von Exitstrategien Prostituierten faktisch neue Handlungsmöglichkeiten, wodurch sie nicht nur formal, sondern auch materiell in die Möglichkeit versetzt werden, Entscheidungen hinsichtlich des Verkaufs ihrer Arbeitskraft zu fällen und ggf. den Beruf zu wechseln. Dem skandinavischen Modell liegt demzufolge eine Kritik der Prostitution zugrunde, die Solidarität mit den Prostituierten zwingend voraussetzt. Wenn Abolitionist/-innen, die das „Nordische Modell“ vertreten darum kämpfen, die große Mehrheit der Prostituierten überhaupt es in den Stand zu versetzen, eine Wahl zu treffen, läuft der Vorwurf des Paternalismus ins Leere. Freilich handelt es sich dabei um schnöde Realpolitik.
Insofern der liberale Feminismus auf die der Prostitution inhärenten materiell-geschlechtlichen Verhältnisse nicht reflektiert und den radikalfeministischen Abolitionsbestrebungen lediglich dem Vorwurf des bürgerlichen Moralismus entgegen hält, tappt er in die Falle, die ihr die Ideologie des bürgerlichen Eigentumsrechts stellt. Dagegen wäre zum einen festzuhalten, dass ein Feminismus, der es mit der Freiheit der Frau ernst meint, die rechtliche Position der Prostituierten nicht hofieren kann. Immerhin verbessert das Verbot des Sexkaufs eine die Stellung der Prostituierten, insofern es die Folgen der eigentumsrechtlichen Ungleichheit milder. Da die Prostitution sich jedoch auf dem eigentumsrechtlichen Unterschied gründet, müsse die konsequente Abschaffung der Prostitution die Forderung nach dem Kommunismus heißen, denn „[d]ie Prostitution beruht […] auf dem Privateigentum und fällt mit ihm. Die kommunistische Organisation also, statt die Weibergemeinschaft einzuführen, hebt sie vielmehr auf.“[xvi]

von Benjamin Walther

[i] Tess Herrmann, Ein Job wie jeder andere. Ein Einwurf zum neuen Prostitutionsgesetz, in: Frankfurter Rundschau 9.6.2016.
[ii] Studien für den Femm-Ausschuss: „Sexuelle Ausbeutung und Prostitution und ihre Auswirkungenauf die Gleichstellung der Geschlechter“, 2014. S. 10
[iii] Damit wird nicht widersprochen, dass in geschlechtsspezifischen Berufszweigen eine geschlechtsspezifische Arbeitskraft erwartet wird. Die Wahl eines geschlechtsuntypischen Broterwerbs zieht durchaus für die Arbeiterin oder den Arbeiter Probleme nach sich.
[iv] Josef Ehemer, „Innen macht alles die Frau, draußen die grobe Arbeit macht der Mann“. Frauenerwerbsarbeit in der industriellen Gesellschaft, in: Birgit Bolognese-Leuchtenmüller und Michael Mitterauer, Frauen-Arbeitswelten. Zur historischen Genese gegenwärtiger Probleme (= Beiträge zur historischen Sozialkunde 3). Wien 1993, S. 81-105. Hier: S. 82.
[v] Vgl. Josef Ehmer, Frauenerwerbsarbeit 1993, S. 86-87.
[vi] Das wird auch nicht dadurch nivelliert, dass auch Männer Sex verkaufen. Gekauft wird der Sex weiterhin von einem bestimmten Geschlecht.
[vii] Untersucht wurden Finnland, Russland (10-13 Prozent), Norwegen (11 Prozent), Niederlande (14 Prozent), Schweiz 19Prozent, die Stadt London (7-10 Prozent) und Spanien, wo die der Rate der Freier mit 39 Prozent weit über dem Durchschnitt liegt. Um die 70 Prozent Freier gibt es in Kambodscha und Thailand. Vergleiche zu den Zahlen; Hanny Ben-Israel, Levenkorn Nomi: The Missing Factor. Clients of Trafficked Women in Israel’s
Sex Industry. Jerusalem 2005, S. 14-15.
[viii] Karl Marx, Friedrich Engels: Manifest der kommunistischen Partei, S. 76.
[ix] Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, S. 534.
[x] Die Fallzahl liegt bei 130. 82 Prozent der Befragten wurden Opfer körperlicher Gewalt; 83 Prozent wurden mit einer Waffe bedroht. vgl. Melissa Farley, Howard Barkan: Prostitution, Violence, and Posttraumatic Stress Disorder, in: Women & Health, 27/3 (1998), S.37-49.
[xi] BGH vom 20.03.2001, Az. 4 StR 79/01
[xii] Melissa Farley et.al.: Prostitution and Trafficking in Nine countries. An Update on Violence and Posttraumatic Stress Disorder, in: Journal of trauma practice, 3/4 (2003), S. 33-74.
[xiii] Melissa Farley: Prostitution and the Invisibility of Harm, in: Women & Therapy 26 3/4 /2003), S. 247-280.
[xiv] Theodora Becker, Die Entdeckung der Ehrlichkeit. Von der Prostitution zur sexuellen Dienstleistung, in: Bahamas 68/2014, S.53-58, hier: 55.
[xv] Abolition2014: Mythbusting: Wenn man Sexkauf verbietet, wandert die Prostitution in den Untergrund, 25.01.2017
[xvi] Marx/Engels, Manifest, S. 76.

#onlyshe – zum Jargon der „echten Frau“

Vor kurzem erschien im Feuilleton der Jungle World ein Artikel,[1] dessen, den Inhalt recht gut zusammenfassender, Teaser lautete: „Die »Metoo«-Kampagne verharmlost Vergewaltigungen, weil sie sie in einer nivellierenden Masse von unterschiedlichsten, wenn auch insgesamt unappetitlichen [bis widerlichen] Vorfällen untergehen lässt.“ Paula Irmschler, da namentlich genannt, durfte zwei Wochen später „antworten“.[2] Irmschlers Text ist dabei deutliches Symptom für eine Debattenkultur, die den Namen nicht verdient, und wegen derer die Disko-Sparte der Jungle World allzu oft leider wirklich eher dem autistischen Aneinandervorbeigetanze heutiger Diskotheken ähnelt, was aber nicht dazu verführen sollte, zu denken, dass Texte dieser Art keine Wirkung entfalten würden oder dass dies nicht sogar dezidiert ihre intendierte Wirkung wäre. Die Hauptthese Irmschlers zur Verteidigung von #metoo wäre wohl die Behauptung: „Eine Debatte ist nicht obsolet, nur weil sie (auch!) von Fällen erzählt, die nicht justiziabel sind.“ Derart wird die behauptete „Gleichberechtigung“, welche den jeweiligen Phänomenen zukäme, schon sprachlich hergerichtet. Als wären es nicht nach kurzer Zeit schon vor allem nicht justiziable Fälle gewesen, von denen berichtet wurde, so dass die strafbaren Handlungen in der auf Masse setzenden Debatte schnell untergingen. Bei Irmschler liest sich dies folgendermaßen: „Keine Geschichte macht die andere weniger wert oder wertvoller.“ Dagegen wäre schon zu betonen, dass keine Geschichte, egal wie brachial, grausam diese sein mag, per se „wert“ oder „wertvoll“ ist. Dies wird sie erst durch die Verwertung, von der die Auswertung jene spezifisch qualitative Variante ist, während die Geschichten im Großen und Ganzen aktiv zu einem „Diskurs“ nivelliert und somit rein quantitativ verwertet werden. Continue reading „#onlyshe – zum Jargon der „echten Frau““

Eine tatsächlich linke Dummheit

Die Debatte um den Text des Conne Islands „Ein Schritt vor, zwei zurück“1 scheint nicht abzureißen und offenbart die Abgründe des „tatsächlich linken Bewusstseins“ im völlig faktenresistenten Bezug auf den Islam.

Zur Erinnerung

In dem besagten Text, der vor zwei Monaten auf der Website des alternativpolitischen Freizeitzentrums in Leipzig veröffentlicht wurde, beschrieb das Plenum des Hauses das Scheitern ihres Versuches, sich „der Welle der Willkommenskultur“ anzuschließen. Die Willkommenshilfe für Flüchtlinge bestand unter anderem aus einem auf 50 Cents gedrückten Eintrittspreises für Flüchtlinge, die Veranstaltungen im Hause zu besuchen gedachten. Dieses Vorgehen, das den Beteiligten nach eigener Aussage vorerst ein gutes Gefühl verschaffte, „stellte sich als recht naiver Plan heraus.“ Die Vermittlung grundlegender Werte im Umgang miteinander scheiterte grandios, mit dem Ergebnis, dass die Verantwortlichen und ihre Gäste „seither einige Auseinandersetzungen und brenzlige Situationen auszustehen“ hatten. Der generalisierte Antisexismus – bisher anscheinend eine der Leitideologien des Ladens – war durch konkrete Vorfälle, die allmählich ein gewisses Muster abzeichneten, ins Schlingern geraten:
Die stark autoritär und patriarchal geprägte Sozialisation in einigen Herkunftsländern Geflüchteter und die Freizügigkeit der westlichen (Feier-)Kultur bilden auch bei uns mitunter eine explosive Mischung. Sexistische Anmachen und körperliche Übergriffe sind in diesem Zusammenhang im Conne Island und in anderen Clubs vermehrt aufgetreten – auch mit der Konsequenz, dass weibliche Gäste auf Besuche verzichten, um Übergriffen und Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. (Conne Island)
Bemerkenswert erscheint zumindest die ehrliche, wenn auch späte Frage, ob sie sich nicht „auf den antisexistischen Bemühungen der letzten Jahre ausgeruht haben.“ (CI) Die Frage müsste freilich ergänzt werden um jene, ob man nicht generell ziemlich falsch lag mit dem eigenen Antisexismus. Aber die Stellungnahme lässt die Bereitschaft zur Reflexion der eigenen bisherigen Annahmen erkennen, was – zumal offen ausgetragen – für einen linken Dunstkreis keineswegs selbstverständlich ist. Man muss keine Freundin des Conne Islands sein, um aus den knappen Zeilen nicht den Unsinn abzuleiten, den zahlreiche missgünstige Interpreten in diesem Text, der über weite Strecken fast schon einem Ersuchen von Verständnis und Hilfestellungen gleicht, zu erkennen gedenken. Zumal ein Vertreter des Ladens in einem Gespräch mit der Jungle World noch einmal konkretisierte, dass es sich bei der Veröffentlichung wahrlich nicht um einen Schnellschuss handelte:
Nach einem Jahr interner Diskussionen und verschiedener Lösungsversuche haben wir uns entschieden, das Thema öffentlich zu machen, um gemeinsam zu diskutieren, wie man damit umgehen kann – wie wir das auch sonst mit Problemen bei uns im Haus machen. Wir wollten also auf dieses Problem aufmerksam machen und zeigen, dass wir nicht zweierlei Maß bei unseren Hausregeln ansetzen. Und vor allem wollten wir den Besucherinnen unsere Unterstützung signalisieren und zeigen, dass wir uns damit auseinandersetzen.2

Rechte Häme und linke Neidbeißer

Von Rechten im weitesten Sinne hagelte es Häme und Spott angesichts der Veröffentlichung, was wiederum den deutlichen Unmut aus der linken Szene hervorrief. In den Kurzschlussreaktionen von dieser Seite avancierte dann auch die Leipziger Volkszeitung vermutlich aufgrund ihres Namens, dessen Geschichte zu ergooglen3 man nicht in der Lage zu sein schien, zu einer angeblich rechten Postille. Anstatt jenen teilweise durchaus fragwürdigen Applaus einfach einmal auszuhalten sowie im Zweifelsfall, und sofern man es überhaupt vermag, argumentativ gegenzuhalten, obsiegte schnell die Dünnhäutigkeit der Szene. Die „Kritik“ von Links fiel somit ungleich schärfer aus, was in weiten Strecken schon dadurch motiviert gewesen sein wird, dass es das Conne Island mit seiner Stellungnahme bis in die Spalten von Spiegel und der Süddeutschen schaffte und sogar ein paar Minuten des MDR-Programms abgreifen konnte. Für linke Aufmerksamkeitsfetischisten, die niemand wirklich ernst nimmt, schien dies zu weit zu gehen und die Neidbeißerei begann. Peter Nowak – im weitesten Sinne ein „Kollege“ von der Jungle World – hat die linke Kritik mit seinem Text „Migranten im autonomen Wohnzimmer“4 noch in recht vernünftiger, wenn auch etwas hilflose Weise für Telepolis geliefert, und kritisierte letztlich vor allem den Tonfall des Schreibens aus Leipzig: „Doch muss man den Vorsatz, die Menschen ernst zu nehmen und zu fordern, in einen Ton umsetzen, der so unangenehm deutsch klingt?“ Dabei war Nowak vermutlich bewusst, dass zahlreiche Lesarten des Textes „vom Bericht aus dem Club nicht gedeckt“ wurden, aber gewisse Formulierungen hätten „zumindest viele Spekulationen“ zugelassen. Selbstverständlich ist es gerechtfertigt, schwammige Formulierungen als solche zu kritisieren. Man sollte doch aber zumindest in demselben Maße fragen, wieso sich zahlreiche linke Publizisten und Aktivisten auf absolut haltlose „Spekulationen“, die in diesem Fall vor allem aus Unterstellungen gegenüber dem Conne Island Plenum bestehen, einließen und maßgeblich antrieben.
Völlig fixiert auf die Sprache ging es nämlich auch an anderer Stelle weiter. Nahezu parallel durfte beispielsweise ein gewisser Marcus Adler seinen Senf für das spätpubertierende Hate-Magazin hinzugeben. „Von der [Traum-]Insel in die Realität?“5 lautet Titel und Leitfrage dieses Kommentars, der sich um Orthografie erst gar nicht bemüht. Ihm geht es weniger um den Inhalt des Statements, sondern um „die semantische Ebene, auf der die Aufarbeitung geschieht.“ Demnach beginnt er auch sofort mit einer wilden assoziativen Diskursanalyse des Textes. Er schreibt:
Das große Ärgernis an dem Statement liegt in der Konstruktion[!] eines Skandals […]. Anstatt den Fokus allgemein auf sexistisches und homophobes Verhaltens[sic] seitens marodierender Mackergruppen zu legen, wird gleich zu Beginn des Statements durch den Verweis auf die sogenannte ‚Willkommenskultur‘ eine Assoziationskette in Gang gesetzt, welche Wasser auf den Mühlen der rassistischen Reproduktionsmaschinen ist.
Dass Herr Adler nicht nur des Schreibens, sondern scheinbar auch des inhaltserfassenden Lesens unfähig ist, beweist er, indem er mit keinem Wort erwähnt, dass genau jene – äußerst zweifelhafte – als allgemein behauptete Männerdominanz vom Projekt seit Jahren angegangen wird, wie sie selbst in ihrem Schreiben betonen. „Die Konstruktion“ ist dann auch schnell keine nur mehr, die die konkreten Vorfälle ersponnen hätte, sondern die „Konstruktion eines besonderen Subjekts – den Geflüchteten.“ Dem Autor scheint der eigene Widerspruch nicht so recht aufzugehen. Zum einen heißt es: „Der Kampf gegen Rassimus[sic], Homophobie, Sexismus und Antisemitismus darf nicht nur auf einer abstrakt-idealistischen Ebene erfolgen.“ Gleichzeitig möge zum anderen der „Fokus allgemein[!] auf sexistisches und homophobes Verhaltens[sic] seitens marodierender Mackergruppen“ gerichtet werden. Es bleibt dabei: Die größte Gefahr ist der Applaus von rechts, und um diesen zu vermeiden, ist jede Verdrehung der Realität gerechtfertigt.
An selbiger Stelle durften auch die selbsternannten „Freundinnen und Freunde des Conne Islands“ noch einen Nachtritt ablassen, der durch den anbiedernden Namen des anonymen Grüppchens noch mehr Schmackes erhält: „Ein anderer Text wäre möglich gewesen.“6 Auch dieser Text zeichnet sich in erster Linie durch einen massiven Kulturrelativismus aus: „Anschlussfähig an die neurechte Lehre der Nicht-Übersetzbarkeit verschiedener geschlossener Kulturen ist eben auch die Gegenüberstellung von ‚autoritär und patriarchal geprägte Sozialisation‘ und ‚westlicher (Feier-)Kultur‘. Das mögen unglückliche Zufälle sein. Oder es ist tatsächlich so, dass man in deren ‚Realität‘ angekommen ist. Mehrfach wurde das Conne Island dafür beglückwünscht.“ Nicht zuletzt, indem hier „die“ Realität kommentarlos zu „deren“ Realität umgemodelt wird, zeigt sich der Relativismus dieser Szene. Ihr Verhältnis zur Realität, die sie eh schon nur noch in Anführungszeichen kenne, zeigt sich auch in der „Analyse“ des Conne Island-Textes, die getrost dem Motto folgt: Würde man dies und das durch jene Formulierungen ersetzen, dann wäre dies ein feiner Nazitext, also tun wir so, als stünde dies auch alles schon so dort. Aus dem Satz des Conne Islands, der besagt, dass „jede Person, die sich nicht an unsere Regeln hält, des Eiskellers verwiesen wird – ungeachtet seiner/ihrer Herkunft,“ eine Abschiebungsdrohung zu dichten, sofern man den Klub durch Deutschland ersetze, ist so absurd, wie das „ungeachtet der Herkunft“ dazu schlichtweg nicht so recht zu passen scheint. Den Text hätten die alternativen Insulaner ferner nur veröffentlichen dürfen, wenn sie sich auch zu Übergriffen auf Flüchtlinge oder zur AFD positioniert hätten:
Wir halten Form und Inhalt des Textes nicht für angemessen. Er wurde nach Jahren veröffentlicht, in denen das Plenum nichts Vergleichbares zu den permanenten Übergriffen auf Asylunterkünfte und MigrantInnen, zu Heidenau, Bautzen, Dresden, Einsiedel, nichts zu dem massiven Rechtsruck, der durch Deutschland und Europa geht und mit Pegida, Legida, der AfD und der sächsischen CDU ein wichtiges Zentrum in Sachsen hat verlauten ließ. Wäre klar gewesen, dass dieses Papier nach langer Zeit des politischen Stillschweigens veröffentlicht wird, ohne diese Zustände auch nur zu erwähnen, hätten sicherlich mehr Menschen interveniert.
Jenes Stillschweigen, das es angeblich nicht gäbe, wird auch auf dem Sprachlos-Blog thematisiert. Dort wird das Haus gleich mit einem Epitaph versehen – „Im Zug der Opportunisten: Ein Nachruf auf das Conne Island.“7 Einleitend heißt es: Noch bevor ein Blick auf den Text selbst einige bizarre Elemente erkennen lässt, stellt sich eine andere Frage: Warum überhaupt?“ Die Erklärung des Plenums, „man habe eine Diskussion anstoßen wollen,“ genügt den kritischen Bloggern nicht, denn: „Als gäbe es die nicht längst. Seit fast einem Jahr werden gerade diese drei Themen mit unverhohlener Gier debattiert, wann immer irgendwer „Köln“ sagt.“ Im Text des Conne Islands dagegen steht:
Die Situation ist jedoch derart angespannt und belastend für viele Betroffene und auch für die Betreiber_innen des Conne Islands, dass ein verbales Umschiffen des Sachverhalts nicht mehr zweckdienlich scheint. Wir halten eine Thematisierung der Problematik innerhalb der Linken [Hervorheb. d. Verf.] für längst überfällig und wollen dem Rechtspopulismus nicht die Deutungshoheit in dieser Debatte überlassen. (CI)
Es ist einigermaßen mutwillig, so zu tun, als gäbe es innerhalb der Linken eine vernünftige Auseinandersetzung mit dem Islam. Im Gegenteil hat sich gerade diese Szene seit Köln nur durch Abwehr und Verleugnung des realexistierenden Islam hervorgetan. Auch dem Conne Island wäre an dieser Stelle deutlich vorzuhalten, dass ihre Fokussierung auf „stark autoritär und patriarchal geprägte Sozialisation in einigen Herkunftsländern“ keineswegs einen ernsthaften Fokus darstellt, was beispielsweise die Hallenser No Tears for Krauts eher nebenbei in einem Flugblatt anlässlich einer anderen Veranstaltung im Conne Island übernahmen: „Worüber man aber nicht reden will, ist der islamische Background einer Großzahl der Täter.“8 Auch sonst hält die dramaturgische Analyse des Conne-Textes durch die Sprachlos-Bogger, so akademisch sie scheinen mag, nur hohle Phrasen bereit. So erscheint hier wieder das „hätte-könnte“, wenn alles anders geschrieben worden wäre: „Dieser Satz [über die Sozialisation] jedenfalls hätte – tauschen wir das Wort ‚Geflüchtete‘ mit ‚Asylanten‘ – auch von einer Gida-Bühne schallen können.“

Conne Island | 2013
Conne Island | 2013

Und schließlich blamiert man sich mit solchen Sätzen: „Ganz ähnlich verhält es sich mit der ‚autoritär und patriarchal geprägten Sozialisation‘. Das mag für den Einzelfall stimmen, wird im Text des Conne Island allerdings im Modus der Sippenhaft vorgetragen.“ Wer, wie die Sprachlos-Blogger, in seinem „About“ verkündet, Texte kritisieren zu wollen, die „ein wenig genauer besehen, Zumutungen enthalten, Falsches behaupten oder die Logik mit Füßen treten“, sollte dies doch auch auf die eigenen Texte beziehen. Erst einmal müsste es heißen „im Modus der Sippenhaftung“, denn Sippenhaft ist sogar laut Duden eine „Haftstrafe für jemanden, der der Sippenhaftung unterworfen wird.“9 Wer genau zu argumentieren gedenkt, wie die Habermasianer es behaupten, sollte den Begriff der Sippenhaft dann auch für den korrekten Sachverhalt reservieren. Falsch und unlogisch ist es hingegen, Sozialisation mit Individuation zu verwechseln. Wenn an dem in den meisten Fällen völlig überstrapazierten und gerade in linken Kreisen zur puren Phrase verkommenen Begriff der „Sozialisation“ irgendetwas Wahres ist, dann, dass es sich hierbei um einen überindividuellen Prozess handelt, der also niemals nur für den Einzelfall gelten kann, sondern Kollektive verschiedenster Art und die Prägung ihrer Mitglieder meint.
All dies erscheint aber nur wie ein Vorspiel für jenen Text namens „Ein Inselwitz“ gewesen zu sein, in dem die linksdeutsche Meinung tatsächlich zu sich findet und Ausdruck erhält. Formuliert wurde er von einem gewissen Bernhard Torsch und erschien in der aktuellen Ausgabe der altlinken Konkret.10 Lesen kann man ihn im Zweifelsfall einfach am Kiosk.

Der letzte tatsächlich linke Kärntner

Auch wenn es die Junge Freiheit titelte, ist die Überschrift „Linke im Realitätsstress“ der treffendste Ausdruck des ganzen Schlamassels. Für Torsch hingegen sei das Dilemma der Leipziger nur mit dem „Setting einer Komödie“ zu vergleichen, das er folgendermaßen „auflöst“: „Nicht >Flüchtlinge< stierten Frauen an und begrapschten sie, sondern Anstarrer und Grapscher, die zugleich auch Refugees waren, taten dies. Spoiler: Das ist nicht dasselbe.“ Dass sie Flüchtlinge bzw. Muslime waren, habe also, völlig egal wie die Faktenlage aussieht, als reine Zufälligkeit zu gelten. Laut Torsch enthält der Text des Conne Islands „nach Entschlackung um[?] pseudolinke Floskeln dies: Die Steinzeitmenschen aus dem mysteriösen Orient sind leider zu doof, um zu wissen, wie man sich bei uns benimmt.“ Nun ist eine intellektuelle Entschlackungskur ein ebensolches Eigentlichkeitsgehabe, wie die euphemistisch bezeichnete „alternativmedizinische“, und eine durchweg esoterische Angelegenheit. Wobei – sofern man bei der metaphorischen Kette bleibt – das Pseudolinke nur das phantasierte Schadhafte, Verdorbene und Giftige sein kann, das ausgeschieden gehört. Dass solches Vokabular den sprachlichen Vorläufer stalinesquer Säuberungen darstellt, dürfte keine Neuheit sein. Dass Torsch hingegen sich selbst schon bald „in Gefängnissen oder am Galgen enden“ sieht, weil er die unbequeme Wahrheit verkünde, ist ein Zeichen überausgeprägter Paranoia.
Es gilt, daran zu erinnern, dass Projektionen in der Regel sehr viel über Menschen verraten, und Paranoia ist eine klassische Form der pathischen Projektion. Es handelt sich um eine maßlose Verfolgungsangst, die in erster Linie auf unbewussten und ebenfalls maßlosen Aggressionen beruht, die man gegenüber der eigenen Umwelt hegt, sich aber nicht einzugestehen bereit ist. Die eigene Angst vor Verfolgung repräsentiert somit oftmals in verzerrter Form das, was man selbst anderen an den Hals wünscht. Vernünftigen Menschen aus Leipzig zu unterstellen, sie halten Muslime für „Untermenschen“, sollte so auch als das verstanden werden, was es ist: ein bloß psychischer Akt, der mit Denken oder Urteilen wahrlich nichts mehr gemein hat. Seine eigene Disposition offenbart Torsch selbstverständlich noch etwas genauer und hierin zeigt sich, dass solcherart Schreiben maßgeblich motiviert ist durch den abgrundtiefen Hass auf alle Mitmenschen und ebensolche Verachtung für jeden kleinsten Ansatz von Zivilisation. So vermeint Torsch allen Ernstes, „dass man den >jungen Männern mit Migrationshintergrund< nur gutes Gelingen dabei wünschen mag, diese Inseln selbstgerechter Saturiertheit zu verwüsten. Vor allem, wenn sie dieses, wie Conne Island unterstellt, gerne tun.“ Sofern man den Anlass oder besser das Sammelsurium aus Anlässen noch im Blick hat, wünscht hier also einer der letzten Personifikationen eines tatsächlichen linken Bewusstseins marodierenden Jungmännern sowohl viel Erfolg als auch viel Freude bei sexuellen Übergriffen auf Frauen.
Praxisanweisungen wie diese verlangen natürlich eine gewisse Rechtfertigung, die auch sogleich geliefert wird, indem das Schweigen im autoritären Gestus des „Das sagt man nicht!“ zum Programm erhoben wird: „Von Migrationshintergrund redet, genauso wie von der Integration, niemand, der über völkische Kategorien hinausgedacht hat, und keiner, der ein tatsächlich linkes Bewusstsein hat, würde eine sozial gedachte Maßnahme einführen, um danach sofort >Missbrauch< zu rufen.“ Derart wird nun suggeriert, es sei die Veröffentlichung des Conne Islands und nicht etwa deren Verriss durch Torsch eine planmäßige Bösartigkeit und die Forderung nach Integration von Migranten ein völkischer Akt, der sich in keinster Weise von deren Vernichtung unterscheide. Das „tatsächlich linke Bewusstsein“ aber scheint zu verlangen, sich als energischer Verteidiger des Islam hervorzutun, egal wie kontrafaktisch man dabei Behauptungen aufstellt, wie zum Beispiel, dass der Islam „sich immerhin dem massenmörderischen Antijudaismus und dem Rassenantisemitismus zumindest bis zum intensiven Kontakt mit deutschen Nazis jahrhundertelang entziehen konnte.“ Wie sich diese Behauptung damit vertragen soll, dass das Gründungsverbrechen des Islam in der Vernichtung bzw. Vertreibung und Versklavung der drei jüdischen Stämme – Banu Qainuqa, Banu n-Nadir und Banu Quraiza – um Yathrib (dem späteren Medina) besteht und Mohammed nur wenige Jahre brauchte, um aus Medina eine „judenreine“ Stadt zu machen, bleibt hierbei wohl das Geheimnis des Herrn Torsch11. Tatsächlich verschweigen muss man für eine solche These neben den unzähligen Erlassen, die Christen und vor allem Juden Kleidervorschriften auferlegten und sie von nahezu sämtlichen beruflichen und öffentlichen Karrieren ausschlossen, auch, dass das erste Pogrom gegen Juden auf europäischem Boden 1066 in Granada Muslime verübten, welches gleichzeitig für mindestens 200 Jahre dasjenige mit der höchsten Zahl an Todesopfern bleiben sollte.
Man muss auch die Konkret nicht mögen, um sich ernsthaft zu wundern, dass sie diesen Text jenes Mannes, der sonst auf seinem nach dem Wappentier Klagenfurts benannten Blog – der Lindwurm – zwischen Produktempfehlungen auch seine kritischen Einfälle hinterlässt. Ein kurzer Blick auf einen einzigen Text sei erlaubt, da dieser recht eindrucksvoll den Geisteszustand der personifizierten Gesamtlinken in Bezug auf den Islam und Religion im Allgemeinen verdeutlicht. Die Attentäter von Brüssel erscheinen dort nicht mehr als Menschen, die man als solche ernst zu nehmen hätte, sondern nur noch als „wandelnde Exkremente.“12 Im Unterschied zum kommunistischen Agitbündnis „Ums Ganze“, das seine antinationale Kampagne unter dem Slogan „Staat. Nation. Kapital. Scheiße.“ laufen lässt, aber zumindest noch Abstrakta als solche bezeichnet und keine Menschen, zeigt sich hier, dass der penetrante Vorwurf, andere würde Muslime als „Untermenschen“ bezeichnen, tatsächlich ein psychischer Inside Job ist. Besonders symptomatisch fällt auch die tatsächlich linke Religionskritik aus, die da wie folgt lautet:
Wo aber kommen diese Mordbuben her und was treibt sie an? Schlichtere Gemüter meinen, das liege am Koran. Aber mit den Religionen ist das so eine Sache. Schon Jesus, der Hippie aus Galiläa, predigte nicht nur Wange-Hinhalten und Feindesliebe. ‚Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert‘, ließ er via Lukasevengelium[sic] ausrichten. Damit hinterließ er Sätze, auf die sich zwei Jahrtausende lang jeder sich christlich nennende Schlächter berufen sollte. So ähnlich ist das auch mit dem Koran. In dem steht, wie in jedem weltreligiösen Standardwerk, alles und sein Gegenteil. Aufrufe zu Mildtätigkeit und Toleranz reihen sich an Passagen, die man durchaus als theologische Rechtfertigung zum Massenmord missbrauchen kann.13
Selbst von einem der es als erwachsener Mann noch nötig hat, von Jesus dem Hippie zu palavern, sollte man doch eigentlich erwarten können, wenn er im gleichen Atemzug Islamkritiker als „schlichtere Gemüter“ verunglimpft, dass er des Lesens und Denkens zumindest in Grundzügen fähig ist. Nur kommt die linke Religionskritik, die alle Religionen als identisch zu betrachten versucht, schlichtweg nicht ohne grobe Verzerrungen aus. Der von Torsch zitierte Satz wird kaum auch nur einem Schlächter als Rechtfertigung gedient haben können; zumindest nicht, wenn dieser potenzielle Schlächter den Satz nicht als vereinzelten von Google vorgeworfen bekam. Selbst in der Rede Papst Urbans des Zweiten auf dem Konzil von Clermont im Jahren 109514, in der er zum ersten Kreuzzug aufrief, kommt der Satz nicht vor. Kurz ins Detail: Erstens stammt der Satz nicht aus dem Lukas-, sondern dem Matthäus-Evangelium – dort 10:34: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ Liest man aber die folgenden Zeilen, so steht dort geschrieben: „(35) Denn[!] ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien[!] mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.“ Bei dem angeblich zitierten Lukas hingegen heißt es – wohlgemerkt unter der Überschrift „Entzweiungen um Jesu willen“ in Vers 12:51ff:
Meint ihr, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage: Nein, sondern Zwietracht [Hervorheb. d. Verf.]. Denn von nun an werden fünf in einem Hause uneins sein, drei gegen zwei und zwei gegen drei. Es wird der Vater gegen den Sohn sein und der Sohn gegen den Vater, die Mutter gegen die Tochter und die Tochter gegen die Mutter, die Schwiegermutter gegen die Schwiegertochter und die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter.15
Es ist sowohl ein Jammer als auch eine Blamage, wenn der einzige vermeintlich kriegerische Satz, den man kontextlos dem Neuem Testament vorwirft, keineswegs einen Krieg gegen Ungläubige meint, sondern einfach nur die Entzweiung oder Spaltung – wie es in anderen Übersetzungen heißt – der Familienbande. Jeder Ausspruch wie auch das gesamte Leben von Jesus, der es ganz dezidiert ablehnte, bewaffnet zu kämpfen und Nächstenliebe auch gegenüber dem Feinde predigte, verbietet inhaltlich eine Gleichsetzung mit dem Schlächter und Beutemacher Mohammed, welcher gemäß der islamischen Ideologie Leitfigur aller Muslime sein soll. Der christliche Pazifismus – dem hier wahrlich nicht blauäugig das Wort geredet werden soll – hatte über Jahrhunderte für den Klerus Bestand. Man sollte nicht vergessen, dass obwohl das Christentum schon (bzw. erst) unter Konstantin erstmals zur staatstragenden Religion erhoben wurde, das Urverbrechen des Christentums – die Kreuzzüge – erst nach einer 1000-jährigen Geschichte stattfand, und gleichzeitig sofort vonseiten des Klerus auch theologisch kritisiert wurde. Zum Vergleich betrachte man den Islam, der schon als Ur- und Frühislam vordergründig auf militärische Eroberung ausgerichtet war. Selbstverständlich setzt sich solche unterschiedliche Geschichte auch verschiedentlich im theologischen Gehalt der jeweiligen Religion ab. Doch Torsch schreibt:
Es ist keineswegs ausgemachte Sache, dass sich stets nur die durchsetzen, die aus ihren jeweiligen ‚heiligen‘ Schriften immer nur die Affirmation der menschlichen Niedertracht herauslesen, und sowohl die islamische (Kultur)Geschichte als auch die Lebenspraxis hunderter Millionen Muslime zeigen, dass Islam auch anders kann als nur Unterdrückung und Krieg.
So etwas zu schreiben verlangt jedoch, dass man sich nicht äußert zu den zahllosen in den meisten islamischen Staaten rechtlich abgesicherten Gewaltakten wie Polygamie, Todesstrafe für Homosexuelle und Vergewaltigungsopfer, Unterdrückung der Frau in einem vergleichslosen Maße, nahezu völlige Vertreibung aller Juden inklusive Zinsverboten … und so weiter und so fort. Mit keinem Wort erwähnen darf man ferner, dass die islamische Theologie sehr genau und begründet vorgibt, welche Stellen des Korans Gültigkeit haben und welche nicht, da sie durch spätere aufgehoben wurden. Bezug nimmt das tatsächlich linke Bewusstsein dabei mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit auf die erstaunlich tragfähige Mär vom islamischen Frühhumanismus:
Als man in Europa Humanismus noch nicht einmal buchstabieren konnte, einander andauernd massenweise abschlachtete, Häretiker verbrannte und Juden massakrierte, entwickelte sich im arabischen Raum eine Art von Frühhumanismus. Muslimische und jüdische Gelehrte schufen auf der Basis antiker Philosophie, theologischer Texte und rabbinischer Dispute ein erstaunlich modern wirkendes Denken.16
Dieser „Gegensatz“ ist dermaßen unberührt von Fakten, dass es sich kaum lohnt, auf ihn einzugehen. Nur so viel: Die bekannten Philosophen, auf die hier angespielt wird, hatten allesamt eine sehr kurze Wirkungsgeschichte im islamischen Kulturraum. Averroës bzw. Ibn Ruschd wurde verbannt und seine Werke verbrannt, mit dem philosophischen Schriften Avicennas, al-Kindis, al-Razis und al-Farabi verhielt es sich – meist kurz nach deren Tod – leider nicht anders. Das sogenannte „goldene Zeitalter des Islam“ begann aus islamischer Sicht erst genau zu jener Zeit, als durch den islamischen Innerlichkeitspropheten Al-Ghazali alle Ketzereien der frühen eben nicht islamischen, sondern höchstens muslimischen und oftmals nicht arabischen, sondern persischen Aristotelikern auch ideologisch verbannt wurden und die Tore der Philosophie für Jahrhunderte wieder geschlossen worden waren. Das Wüten des Bernhard Torsch sei nun „ein Zweifrontenkrieg, denn diese schattenhafte Freiheit wird nicht nur von Jihadisten bedroht, sondern mehr noch[!] von jenen, die vorgeben, sie zu verteidigen, nämlich von europäischen Rechtsradikalen und Rechtspopulisten.“17 Selbst für das ehemalige Herrschafts- bzw. Wirkungsgebiet Haiders dürften seine Ängste vor dem Galgen mehr als nur latent überzogen wirken, was man leider für zahlreiche islamische Länder nicht behaupten kann. Herr Torsch und mit ihm ein Großteil der Linken haben sich ihre Lieblingsfront aber schon längst erkoren. Tatsachen jeglicher Art scheinen dabei ebenso zu stören, wie die islamkritischen Urteile von Karl Marx, Ernst Bloch und Max Horkheimer, denen es mit Sicherheit auch einfach nur an einem „tatsächlich linken Bewusstsein“ mangelte.

von Paulette Gensler
1 https://www.conne-island.de/news/191.html
2 http://jungle-world.com/artikel/2016/42/55027.html
3 Hinweis: https://www3.spd.de/99978/20130522_150jahrespd.html
4 https://www.heise.de/tp/features/Migranten-im-autonomen-Wohnzimmer-3351582.html
5 http://hate-mag.com/2016/10/von-der-traum-insel-in-die-realitaet-kommentar-zum-conne-island/
6 http://hate-mag.com/2016/11/freundinnen-und-freunde-des-conne-islands-ein-anderer-text-wa%CC%88re-mo%CC%88glich-gewesen/
7 http://sprachlos-blog.de/im-zug-der-opportunisten-ein-nachruf-auf-das-conne-island/
8 http://nokrauts.org/2016/10/im-diskurs-sind-alle-katzen-grau/
9 http://www.duden.de/rechtschreibung/Sippenhaft
10 http://www.konkret-magazin.de/hefte/id-2016/heft-122016/articles/in-konkret-1647.html
11 http://juedischerundschau.de/massenmord-in-mohammeds-gegenwart-135910240/
12 https://lindwurm.wordpress.com/2016/03/22/terror-in-bruessel-der-dritte-weltkrieg-und-wer-ihn-gegen-wen-fuehrt/
13 https://lindwurm.wordpress.com/2016/03/22/terror-in-bruessel-der-dritte-weltkrieg-und-wer-ihn-gegen-wen-fuehrt/
14 http://www.manfredhiebl.de/urban.htm
15 http://www.bibelwissenschaft.de/bibeltext/Lk12,1-53/
16 https://lindwurm.wordpress.com/2016/03/22/terror-in-bruessel-der-dritte-weltkrieg-und-wer-ihn-gegen-wen-fuehrt/
17 https://lindwurm.wordpress.com/2016/03/22/terror-in-bruessel-der-dritte-weltkrieg-und-wer-ihn-gegen-wen-fuehrt/