Unterwerfung. Skizze zum autoritären Charakter in islamischen Gesellschaften

Die Theorie des sadomasochistischen bzw. des autoritären Charakters der frühen Kritischen Theorie wurde seit ihrem Entstehen immer wieder erweitert und aktualisiert. Allerdings beschränken diese Erweiterungen sich zum Großteil auf die bürgerliche Moderne des sogenannten Westens und deren Entwicklung. Genau an dieser Stelle soll dieser Text das bisher geleistete transferieren: In diesem Text soll die spezifische Sozialisation eines Jungen[1] in islamisch geprägten Ländern und Familien nachvollziehen und untersuchen, ob dies zu einem bestimmten Sozialcharakter[2] führt. Ziel ist es darüber hinaus eine theoretische Debatte anzustoßen, um die Theorieentwicklung voranzutreiben, ohne dabei Anspruch auf eine vollständige Analyse zu erheben.

Geschlechterrollen und Autorität

In der islamisch-patriarchalen Gesellschaft erhalten Frauen ihre relative Macht über den oikos nur durch eine tatsächliche Gebährfähigkeit; ihre Stellung innerhalb der Familie hängt also maßgeblich davon ab, ob sie realiter Mutter sind; sprich, dass sie die Potenz des Mannes beweisen. (vgl. Charlier 2017a: 46) Durch die für islamische Familien typische enge Beziehung zwischen Mutter und Sohn, fließen in die Erziehung des Jungen sowohl kompensatorische Bestrebungen der Mutter, wie z.B. durch den Sohn an der Macht des Patriarchats teilhaben zu können, als auch unbewusste Aggressionen und Hassgefühle, die aus der Ausgeschlossenheit der Frau aus der Männerwelt resultieren, ein, sodass der Junge widersprüchlichen Verhaltensweisen und Gefühlen von Seiten der Mutter ausgesetzt ist. (vgl. ebd.) Gleichzeitig erfährt der Junge sehr früh die Wertvorstellungen und die Rollenverteilung zwischen der entwerteten Mutter und dem mächtigen Vater, welches nicht zuletzt durch die Verschleierung als Zeichen der Sittlichkeit der Frau offenbar wird..
Der Vater bleibt bis zum siebten Lebensjahr des Jungen zwar aus dem konkreten Erziehungsprozess ausgeschlossen, trotzdem wird er gerade durch seine Verbindung von Abwesenheit und Macht als ehrwürdiges und furchteinflößendes Objekt vom Jungen erlebt. (vgl. ebd. 48) Für den Jungen ist der Vater nun real das Objekt, das ihn aus der engen Mutter-Sohn-Beziehung, und damit aus der Minderwertigkeit der Frauenwelt, retten kann. Die Unnahbarkeit des Vaters und seine konkrete Stellung im Erziehungsprozess sorgen dafür, dass dieser sich nicht als verbietendes Objekt im Sinne einer klassischen ödipalen Auseinandersetzung angesehen wird, denn der Vater wird nicht als zwischen dem Jugend und der Mutter stehend erlebt, sondern als außenstehend wahrgenommen. (vgl. ebd.)

Identifikation und Unterwerfung

Dies hat zur Folge, dass „die Notwendigkeit einer Internalisierung väterlicher Ge- und Verbote und damit die Bildung eines internalisierten Über-Ichs mit dem Inzesttabu als Zentrum des ödipalen Konflikts nicht in dem Maße gegeben ist, wie dies in der Freud´schen Formulierung des Über-Ichs als Erbe des Ödipuskomplexes expliziert ist.“ (ebd.) Stattdessen bleibt das frühere, idealisierte Vaterimago intakt und es kommt zu einer Unterwerfung unter den und einer gleichgeschlechtlichen Bindung an den Vater, welche Teilhabe an der Macht und der Dominanz der Männerwelt ohne Infragestellung der väterlichen Macht verspricht. (vgl. ebd.)
An dieser Stelle wird die ödipale Situation also nicht in der Art gelöst, dass der Junge durch den imaginären Vatermord Autonomie erlangt, sondern er bleibt abhängig vom Vater. (vgl. Charlier 2017c: 82) Allerdings wird die Rettung aus der Mutterwelt rituell erkauft: Die Kastrationsangst des Jungen wird durch die Beschneidung, welche in der Regel im Alter zwischen zwei und sieben Jahren geschieht, bestätigt (vgl. Wilting 2007: 156) Der Junge erlebt diese bewusst, sodass sich die Beschneidung als ein permanentes Zeichen der Macht des Vaters in die psychische Struktur des Jungen einbrennt; zugleich ist die Beschneidung eine symbolische, präventive Schutzmaßnahme des islamischen Patriarchats gegen Inzest und Vatermord. (vgl. Maciejewski 2003: 540)
Durch das Ausbleiben des Freud`schen Ödipuskomplexes bleiben die inzestuösen Wünsche gegenüber der Mutter ständig präsent. Diese werden durch Projektion auf andere Mitglieder der islamischen Gesellschaft unter Kontrolle gebracht; dies erklärt wieso zum Beispiel in der islamischen Welt alle sich als Brüder und Schwestern bezeichnen. Es handelt sich also um eine weitere Vergesellschaftung des Inzesttabus. (vgl. Charlier 2017a: 49)
Das archaische Bild des Vaters wird in der weiteren Entwicklung nicht korrigiert, denn für den Vater liegt der erfolgreiche Weg des Knaben in die Männerwelt im Gehorsam und in der Unterwerfung unter die religiösen Autoritäten respektive unter Gott, sodass für den Knaben die Unterwerfung Basis für die physische und psychische Existenz bleibt. (vgl. Charlier 2017b: 74) In der islamischen Sagenwelt endet der Konflikt mit dem Vater nicht etwa in der (symbolischen) Tötung des Vaters, sondern wie in der Rostam-Sage im Gegenteil: In der Tötung des Sohnes durch den Vater (vgl. Charlier 2017c: 98)
Gehad Mazaweh schreibt daher zum Verhältnis des Sohnes zum Vater in der arabischen Welt folgendes:

„Der Hass auf den Vater und die Todes- und Mordwünsche werden aus Angst- und Schuldgefühlen verdrängt. Die Ängste der Knaben (…) werden bestätigt durch die Gewalttätigkeit der Väter, die Angst bleibt nicht nur in der Fantasie, sondern sie ist eine Realität (…). Die Furcht vor dem Vater zwingt die Söhne ihre Hassgefühle zu verdrängen, den Hass nicht bewusst werden zu lassen. Kaum ein arabischer Sohn würde mit dem bewussten Hass auf den Vater leben können.“ (Mazaweh 2005: 82)

Mazaweh geht an anderer Stelle soweit zu sagen, dass der Sohn an Schuldgefühlen umkommen würde, gewänne er den ödipalen Kampf mit dem Vater. (vgl. Mazaweh 2011). Diese Beobachtungen werden von Charlier geteilt. Allerdings handelt es sich an dieser Stelle nicht (oder nicht nur?) um eine Verdrängung, sondern auch um eine volle Identifizierung mit dem Angreifer. Der Sohn identifiziert sich demnach mit den Wunschvorstellungen, die der Vater von ihm hat, welches mit einer Unterwerfung unter die Bedürfnisse des Vaters identisch ist. Diese Identifizierung mit dem Wunschbild des Vaters ist der Grund dafür, dass der Vater im weiteren Prozess der Entwicklung nicht desillusioniert wird (vgl. Charlier 2017b: 74). Realiter wird das Hinterfragen der väterlichen Autorität respektive das aktive Vorgehen gegen diese – also der symbolische Vatermord – mit dem Ausschluss aus der Männerwelt und damit mit Verbannung in die Mutterwelt bestraft. (vgl. Charlier 2017c: 98)
Diese Unterschiede in der Lösung der ödipalen Situation – im Vergleich zur okzidentalischen – bewirken Unterschiede in der gesellschaftlichen Struktur, während die Unterschiede selbst auch wieder Ausdruck der unterschiedlichen, gesellschaftlichen Struktur sind. So entstehen die Schuldgefühle des Jungen nicht aus dem symbolischen Vatermord, sondern aus den Gedanken an den Vatermord, sodass das Kind eine spezielle Form der Emotionalität in Form einer libidinösen-inzestuösen Bindung an die Mutter entwickelt. Diese Emotionalität ist geprägt von Empathie, Beschützer‚instinkten‘ und Verantwortungsgefühl.

„Hass und Aggressivität haben hier ihre Quelle in der frühen Mutter-Sohn-Beziehung und werden nicht durch die ödipale Triangulierung überformt. Sie sind gegenüber dem Vater tabuisiert und müssen in den außenfamiliären Bereich projiziert werden.“ (Charlier 2017c: 99)

Aus diesem Gründen bietet die daraus geprägte psychische Struktur des Jungen mehr Raum für empathische Objektbeziehungen als für rational gesteuertes Verhalten. Die Unhinterfragbarkeit der Autorität des Vaters spiegelt sich auf der ideologischen Seite in der Unhinterfragbarkeit Gottes; so sind im Islam weder Kritik an Gott und Mohammad, noch ambivalente Gefühle gegenüber eben diesen erlaubt. (vgl. Charlier 2017b: 71) Wer nicht nach den Gesetzen der Religion lebt, d.h. sich nicht der Autorität Gottes bzw. religiöser Führer unterwirft, wird als Kufr, also als Ungläubiger, gebrandmarkt. Der Kufr leistet Widerstand gegen die Autorität, er zeigt also adoleszentes Verhalten, welches unter Strafe gestellt ist und als verachtenswert angesehen wird. Parallel zur Kritik innerhalb der Familie am Vater, wird dieses Verhalten schwer bestraft: Mit dem Verstoßen aus der Umma, welche in der extremen Form die Todesstrafe ist.
Die Intensität der, durch volle Identifizierung mit dem Vater, unbewussten, aggressiven Affekte, sowie das Ausmaß des Verlangens nach Liebe und Anerkennung können dazu führen, dass der Knabe später dazu bereit ist, für den Vater, die religiösen Autoritäten, bzw. für die Gewinnung seiner/ihrer Liebe zu opfern. Dieses findet seinen stärksten Ausdruck im Opfermythos des Märtyrertums als Beweis von Männlichkeit, religiöser Treue und Unterwerfung, was bis hin zur sadomasochistischen Selbst- und Objektvernichtung, also zum Selbstmordattentat, als Zeichen von Liebe und Stolz führen kann. (vgl. ebd.: 75) Im Märtyrerkult verliert die Signalangst ihre Funktion als Warnung vor den mit Gewalt und Destruktivität verknüpften Gefühlen.
Dies zeigt sich in Interviews, die Nasra Hassan in den 1990er Jahren mit zukünftigen Selbstmordattentätern bzw. mit Selbstmordattentätern führte, deren Anschläge scheiterten. Dort heißt es z.B.

The boy has left that stage far behind,“ he said. The fear is not for his own safety or for his impending death. It does not come from lack of confidence in his ability to press the trigger. It is awe, produced by the situation. He has never done this before and, inshallah, will never do it again! It comes from his fervent desire for success, which will propel him into the presence of Allah. It is anxiety over the possibility of something going wrong and denying him his heart’s wish. The outcome, remember, lies in Allah’s hands.” (Hassan 2000)

Diese Angstfreiheit in der konkreten Attentatssituation belegen auch andere Zeugnisse von islamistischen Terroristen, wie die von Mohammad Atta. (vgl. Stein 2005: 111) Wir sehen also, dass in den Extremfällen alle Ängste sich in eine Furcht verwandeln, die sich auf ein überhöhtes Objekt bezieht: in Gottesfurcht. So schreibt Mohammad Atta: „Furcht ist eine großartige Form der Anbetung, die einzige, die Gottes würdig ist. Er ist der Einzige, dem sie zusteht“. (Atta, zit. n. Stein 2005: 111) Diese Transformation von Ängsten in Gottesfurcht findet ihren Eingang in die islamistische Ideologie, in der keine Furcht an weltlich-triviale Dinge vergeudet werden soll. Durch Furcht und Terror, die die Terroristen notwendig verbreiten wollen, wollen sie die Kufr herabsetzen und selbst von diesen angebetet werden. Die Gefühle von Hilflosigkeit und Verwirrung haben sie durch ihre neue Identität zum Verschwinden gebracht. (vgl. ebd: 112) Dies denkt sich mit den Beobachtungen Sigmund Freuds, dass unter dem Schutz des geliebten und gefürchteten Gotts jegliche Gewissensangst verschwindet. (vgl. Freud 1921) Durch die Unterwerfung unter einen gefürchteten und geliebten Gott fühlen sich die Terroristen von allen moralischen Schranken befreit, andere zu töten und bei denen, die sie nicht töten, Angst und Schrecken zu verbreiten.
Die Liebe zu Gott und der Liebe zum Märtyrertum befindet sich auf einer vertikalen Achse, an deren Ausdruck Selbstwert oder Unwert, Überlegenheit oder Unterlegenheit, Erniedrigung, Mitleid, Ehrfurcht und Verehrung beteiligt sind; es ist also prä-ambivalente Liebe. (vgl. Abraham 1924) In einem der von Hassan geführten Interviews heißt es demgemäß:

“Love of martyrdom is something deep inside the heart. But these rewards are not in themselves the goal of the martyr. The only aim is to win Allah’s satisfaction. That can be done in the simplest and speediest manner by dying in the cause of Allah.“ (zit. n. Hassan 2000)

Durch die Unterwerfung unter Gott, hat dieser die Führung über die Psyche übernommen: Der Terrorist ist nun der festen Überzeugung, dass es Gott gefällt, wenn er seine Freunde vernichtet. Gott wird nicht trotz der Erlaubnis zum Töten geliebt, sondern gerade weil er es erlaubt Kufr, und damit das Schlechte im eigenen Seelenapparat, zu töten. Die Ekstase des Töten selbst und die Erwartung des baldigen Einsatz als Gotteskrieger, bereiten enormen sadomasochistischen Lustgewinn. (vgl. Stein 2005: 118):

„I asked S. to describe his preparations for the suicide mission. “We were in a constant state of worship,” he said. “We told each other that if the Israelis only knew how joyful we were they would whip us to death! Those were the happiest days of my life.”“ (Hassan 2000).

Durch das Töten des beunruhigenden Teil des eigenen Selbst, das vorher nach außen projiziert wurde, versucht der Terrorist ebendiesen ein für alle Mal zu besiegen und damit die Unlust auf ewig zu vermeiden. (vgl. Stein 2005: 119).

Göttliche Autorität im Islam

Die psychoanalytische Interpretation der der Erziehung von Jungen in islamisch geprägten Ländern und Familien verdeutlicht, dass es explizite Übereinstimmungen mit den von der frühen Kritischen Theorie postulierten autoritären bzw. sadomasochistischen Charakter gibt, die im Folgenden begründet werden soll. Wir sehen, dass der Charakter sich an die gesellschaftlichen respektive familiären Bedingungen angepasst hat, was besonders in den Extremfällen der Selbstmordattentäter dazu führt, dass diese sowohl am Leid anderer als auch am eigenem Leiden Lustgewinn erfahren. In dieser Situation kann das eigene Ich sich an die religiöse Autorität hingeben und gleichzeitig kann es andere zum Leiden zwingen.
Fromm beobachtete ferner, dass die Liebe zur Autorität aus der Furcht vor ebendieser entsteht, welche sich im Laufe der Zeit zu Ehrfurcht, Bewunderung und Liebe entwickelt. (vgl. Fromm 1936: 172) Der gleichzeitig unbewusst empfundene Hass auf die Autorität wird, wie bereits gezeigt, nicht gegen die eigene Autorität gerichtet, sondern gegen die Autoritäten anderer; insbesondere gegen die Götter anderer. (Freud 1921: 107) So ist in der islamischen Sozialisation die Trennung in Gläubige/Erlaubt und Ungläubige/Verboten nicht, wie im Vergleich zur westlichen Gesellschaft, verdinglicht worden, sondern hat nach wie vor noch in der religiösen Form bestand. (vgl. Adorno 1951: 332) Je stärker die eigene Ambivalenz gegenüber der eigenen Autorität, desto mehr Hass gegen eine andere Autorität liegt vor. (vgl. Fromm 1936: 173).  Der Mangel an Potenz sich gegen die eigene Autorität aufzurichten ist das negative Charakteristikum des autoritären Charakters. (vgl. ebd.) Da dieser Mangel sowohl auf das Denken, als auch auf das Handeln sich bezieht, wird damit die konkrete Gesellschaftsordnung aufrechterhalten.

„Die relative Undurchschaubarkeit des gesellschaftlichen und damit des individuellen Lebens schafft eine schier hoffnungslose Abhängigkeit, an die sich das Individuum anpaßt [sic!], indem es eine sado-masochistische Charakterstruktur entwickelt.“ (Fromm 1936: 174)

Aus diesem Grunde wird jederlei Kritik oder Selbsterkenntnis als narzisstische Kränkung wahrgenommen, die direkt Wut hervorbringt; (vgl. Adorno 1951: 333) was z.B. die wütenden Reaktionen auf jede Mohammed-Karikatur eindrucksvoll beweisen.
Der islamisch-sadomasochistische Charakter erlebt sein Verhältnis zur Welt als Schicksal, sodass das eigene real erfahrene Leid, sowie die angebliche Befreiung davon als Wille Gottes auftreten. So sehen sich Selbstmordattentäter als Verlängerung des göttlichen Willens und nicht etwa als eigenständige Subjekte. Für sie untersteht das menschliche Leben einzig und allein Gott; wer das anzweifelt, verübt ein Verbrechen. Im Masochismus liegt also der Teil der Charakterstruktur, der sich der Autorität unterwirft und die Unterwerfung gleichsam genießt; Im Sadismus liegt der offensive Teil der Charakterstruktur. Das Ausleben von Gewalt, Djihad und Selbstmordattentat ist nur deshalb möglich, weil die Autorität dies gestattet hat und weil die jeweilige Person der Überzeugung ist, im Namen der Autorität zu handeln. Realiter muss die Autorität Macht über die menschliche Gefühlswelt besitzen, d.h. sie muss in der Lage sein dem Subjekt sowohl Schutz und Sicherheit versprechen sowie,  Angst hervorrufen zu können.
Genau diese Macht wird durch die Strafen bzw. dessen Androhung erzeugt, denn durch die Beschneidung sind die Strafe und der Schmerz keine bloße Fantasie, sondern durchlebte Realität. Zusätzlich ist der strafende Gott ein permanentes Damokles-Schwert, dessen Strafe nach dem Leben einsetzt. Die göttliche Autorität hat für den islamisch-sadomasochistischen Charakter noch eine weitere Funktion: die der Moral. Durch das Ausbleiben des Ödipuskomplex und der damit mangelhaften Bildung des Über-Ichs, muss die Autorität als eine Moralische existieren. D.h. die Autorität muss den Anschein erwecken, dass sie nichts für sich selbst will und alles, was sie von den Unterworfenen fordert, selbst erfüllt. (vgl. ebd.: 183) Genau diese Funktion erfüllt Gott, erfüllen Mohammed und die religiösen Führer der islamischen Theologie. Da sie religiöse Führer sind undda das Über-Ich beim islamisch-sadomasochistischen Charakter kaum ausgeprägt ist, ist eben dieser Charakter anfällig für autoritäre Einstellungen, da bei diesen das eigene Über-Ich durch die Identifizierung mit dem Führer durch das Über-Ich des Führers respektive der Masse ersetzt wird, was von Djihadisten propagandistisch genutzt werden kann und wird.
Es bleibt also festzustellen, dass der islamisch-autoritäre Charakter genau wie der von der Kritischen Theorie herausgestellte autoritäre Charakter, dazu fähig ist, in neue Barbarei zuführen, zwischen ihnen aber dennoch eine Nichtidentität besteht. So können also westlicher und islamischer Autoritarismus nicht identisch gesetzt werden, denn diese würde die Spezifika der Entstehung, die besonders in der Sozialisation des Knaben und deren möglichen Endpunkt im Selbstmordattentat zum Vorschein kommen, des islamisch-autoritären Charakters leugnen, und so dessen Überwindung verhindern.

von Lucas Koch

Literatur:
Abraham, Karl (1924): Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Libido auf Grund der Psychoanalyse seelischer Störungen, in: Gesammelte Schriften, Bd. 2. Fischer-Verlag, Frankfurt a.M., S. 32-102
Adorno, Theodor W. (1951): Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda, in: Dahmer, Helmut (2013): Analytische Sozialpsychologie, Psychosozial-Verlag, Gießen
Charlier, Mahrokh (2017a): Geschlechtsspezifische Entwicklung in patriachalisch-islamischen Gesellschaften und deren Auswirkungen auf den Migrationsprozess, in: ders.: Ost-westliche Grenzgänge, Psychosozial-Verlag, Gießen, S. 43-64
Charlier, Mahrokh (2017b): Macht und Ohnmacht – Religiöse Traditionen und die Sozialisation des muslimischen Mannes, in: ders.: Ost-westliche Grenzgänge, Psychosozial-Verlag, Gießen. S. 65-78
Charlier, Mahrokh (2017c): Eine orientalisierte Version des Ödipuskomplexes, in: ders.: Ost-westliche Grenzgänge, Psychosozial-Verlag, Gießen, S.79-101
Freud, Sigmund (1921): Massenpsychologie und Ich-Analyse, in: GW XIII, S.71-161
Fromm, Erich (1936): Studien über Autorität und Familie. Sozialpsychologischer Teil, in: ders. (1989): Gesamtausgabe, Bd. 1, dtv, München, S. 141-206
Fromm, Erich (1941): Die Furcht vor der Freiheit, in: ders. (1989): Gesamtausgabe, Bd. 1, dtv, München, S. 217-394
Hassan, Nasra (2000): An Arsenal Of Believers – Talking to the „human bombs“, unter https://www.newyorker.com/magazine/2001/11/19/an-arsenal-of-believers (abgerufen am 01.04.18 um 12.22 Uhr)
Maciejewski, F. (2003): Der kleine Hans: Über das vergessene Trauma der Beschneidung, in: Psyche – Z Psychoanal, 57, 523-550
Mazaweh, Gehad (2005): Sterben und Lebenwollen, in: Zeitschrift für gruppenanalytische Psychotherapie, Beratung und Supervision, 15(1), 67-91
Mazaweh, Gehad (2011): Voller Hass auf das sadistische Über-Ich, unter http://www.taz.de/!336204/ (abgerufen am 22.03.18 um 12.16 Uhr)
Stein, Ruth (2005): Das Böse als Liebe und Befreiung: Zur psychischen Verfassung religiös motivierter Selbstmordattentäter, in: Psyche Z Psychoanal, 59, S.97-126
Wilting, Natascha (2007): Die Lust an der Unlust oder warum der Islam so attraktiv ist, in: Göllner, Renate, Radonic, Ljiljana: Mit Freud – Gesellschaftskritik und Psychoanalyse (2007), ca-ira, Freiburg, S. 143-168


[1] Selbstredend gibt es Unterschiede in der männlichen und weiblichen Erziehung, die allerdings erst an anderer Stelle ausformuliert werden können.
[2] Der Gesellschaftscharakter beschreibt die Charaktereigenschaften, die die meisten Subjekte einer Gesellschaft gemeinsam haben, als Resultat der gemeinsamen Erfahrungen und Lebensweisen. Zu unterscheiden ist davon der Individualcharakter, der den kompletten Charakter eines Menschen beschreibt. Dies bedeutet, dass einzele Personen sich trotz identischen Gesellschaftscharakters unterscheiden (Fromm 1941: 379).

Besprechung von Vojin Saša Vukadinović (Hg.): Freiheit ist keine Metapher. Antisemitismus, Migration, Rassismus, Religionskritik

Nach den Sammelbänden Feministisch streiten und Beißreflexe, die hohe Wellen in den Debatten linker, feministischer und akademischer Provenienz schlugen1, legt der Berliner Querverlag einen neuen Sammelband auf, der vom Historiker Vojin Saša Vukadinović herausgegeben wird und thematisch anschließt. Vukadinović war bereits als Autor an Beißreflexe beteiligt, tritt als scharfer Kritiker der Gender Studies und queerem Aktivismus hervor und schrieb unter anderem für Emma und Jungle World eingreifende Kritiken. Insgesamt zeichnet sich der Band durch ein breites Themenspektrum aus, das sich in 38 Beiträgen um die dem Untertitel entsprechenden Kategorien entfaltet und in 7 Sektionen untergliedert ist.

Vukadinović leitet den mit fast 500 Seiten recht voluminösen Essayband damit ein, dass „[d]er Genderfeminismus, der Antirassismus und der Queerfeminismus“ „Karikaturen geschlechter-, migrations- und sexualpolitischer Emanzipationsregungen“ seien. Diesen „pessimistischen Befund“ nimmt der Band „zum Ausgangspunkt, um über den Verrat an der Mündigkeit nachzudenken“. Das Spektrum der Kritik reicht von den nach „Euphemismen für Genitalverstümmelung“ suchenden AkademikerInnen über die fatale Deutungshoheit von Sprechort- und Kollektivierungskategorien, die mit der „Akzeptanz noch für die absurdesten Identitätsentwürfe“ zusammenfallen, bis zum Ausblenden und Marginalisieren von Antisemitismus. Weiter wird konstatiert, dass die Gender Studies unfähig seien, sich kritisch zum Jihadismus zu positionieren und dieser Disziplin nolens volens jeder „Bezug zur Wirklichkeit“ abhanden gekommen sei, während „Nizza, Berlin und Barcelona“ offenkundig die reale Wirkmächtigkeit des Jihadismus aufzeigten. Hierbei stellt Vukadinović Thomas Maul, Fathiyeh Naghibzadeh sowie Philippe Witzmann als Dissidenten heraus: diese ehemaligen Studenten der Gender Studies hätten bereits seit den 2000ern auf „Fehlentwicklung in Wissenschaft und Aktivismus“ hingewiesen, wobei deren „harsche, aber notwendige Kritik“ jedoch „ignoriert“ oder schlichtweg als Rassismus gebrandmarkt werde. Vukadinović schließt mit einer Klage an die der postmodernen Theorie entsprungenen Postcolonial und verwandten Gender Studies: so kennen diese nur noch „’Wahrheiten’“ und würden sich im höchsten Maß am „Verfall des Denkens“ beteiligen. Wie Vukadinović an anderer Stelle ausführt, ist ihm an einem Paradigmenwechsel gelegen, der sich wieder vermehrt aus der Tradition der zweiten Frauenbewegung speist.2

Wie Beißreflexe und Feministisch streiten trägt auch dieser Band berechtigte Kritik an postmodernen Ansätzen und am politischen Aktivismus queerer Provenienz vor. Dass hierbei kaum grundsätzlich neue Argumente verhandelt werden, könnte man nun wie folgt deuten: die linke (und feministische) Debatte scheint ziemlich auf der Stelle zu treten, was sich in der stetigen Veröffentlichung von einführenden Sammelbanden und Debattensammlungen, die zum überwiegenden Teil Zweitverwertung darstellen, äußert. Deshalb sei hier auch auf eine deutliche Schwäche verwiesen, die schon die beiden Vorgängerbände auszeichnete: Die AutorInnen jonglieren zwar mit Universalkategorien, wie Freiheit, Mündigkeit und Wahrheit, die jedoch großflächig unbestimmt und undialektisch sowie unvermittelt nebeneinander stehen bleiben. Gerade dadurch liefern sie sich allzu leicht einer (dann auch berechtigten) Kritik durch postmoderne Positionen aus. Manche Argumente erscheinen damit als verlängerter Arm Maulscher Restvernunft, die zwar mit Buzzwords wie ‚Freiheit‘ und ‚Mündigkeit‘ um sich wirft, aber längst zum bloßen Jargon verkommen ist – was nicht allzu untypisch für zeitgenössische Positionen aus dem Spektrum der antideutschen bzw. ideologiekritischen Szene ist. Das ist jedoch keine Absage an das Buch, denn en détail bleiben einige der darin verhandelten Beiträge, Ausführungen und Kritiken sehr lesenswert, andere hingegen sehr grobschlächtig und theoretisch vage, wodurch sich insgesamt ein ambivalenter Leseeindruck einstellt. Polemiker wie Maul und Witzmann mögen durchaus in einigen Punkten berechtigte Einwände erheben – darin ist auch Vukadinović zuzustimmen – dennoch bleibt auch zu reflektieren, dass Mauls ‚Kritik‘ an #MeToo unter anderem in die völlige Affirmation des Bestehenden umschlägt.3 Sehr kritikwürdig ist in diesem Kontext exemplarisch die Aussage Anastasia Iosselianis in dem Beitrag „Iranischer Imperialismus, antiimperialistischer Egalitarismus“, dass „Antiimperialismus – gleich welcher Form und Schule“ abzulehnen sei. Folgt man dem Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn, so gälte es bezüglich Antiimperialismus und Antikolonialismus eher in „eine aufgeklärt-egalitäre, eine identitär-universalistische und eine – so paradox es klingen mag – selbst rassistische“ Variante zu unterscheiden.4

Es wäre zudem äußerst sinnvoll gewesen, den Queerfeminismus ideengeschichtlich richtig zu verorten. Erst so ließe sich eine überzeugende Fundamentalkritik auf die Füße eines historisch-materialistischen Feminismus stellen, dessen Begriff von Universalismus nicht so unvermittelt wäre, wie dies bisweilen in Freiheit ist keine Metapher erscheint. Einer der zentralen Blöcke von Freiheit ist keine Metapher „Sediment des Zeitgeists – Zur Popularität des unkritischen Werks von Judith Butler“, kommt dagegen allzu polemisch daher; so ersucht Marco Ebert in seinem Beitrag Butler mit Bezug zu Leo Löwenthal als Falsche Prophetin auszuweisen. Natürlich ist es geboten, Butlers Verharmlosungen und Relativierungen von Jihadismus im Allgemeinen sowie Hamas und Hizbollah im Besonderen scharf zu kritisieren, was auch Ebert in seinem Beitrag schafft; das gilt besonders für Butlers in der Theorie angelegten Antizionismus. Sie jedoch als ordinäre Faschistin vom Schlage eines William Dudley Pelley zu markieren, erscheint allzu leichtfertig und plump. Hinsichtlich Butlers Gender-Theorie sollte vielleicht auch noch einmal eine generelle Debatte darüber angestoßen werden, worin eigentlich tatsächlich ein kritischer Gehalt liegen könnte und was in der Rezeption daraus gemacht worden ist. Denn Butlers Theorie war von ihrer Stoßrichtung her explizit antiidentitär ausgerichtet und forderte nicht das Kategorisieren um des Kategorisieren willen; jedoch ist es im queeren Milieu längst Usus, Schublade um Schublade zu öffnen und jegliche Emotion, Charaktereigenschaft oder sexuelle Orientierung neu zu kategorisieren, was einem vom Anspruch her antiidentitären Denken ziemlich zuwider läuft. Dass ‚Freiheit‘ keine Metapher sei, bleibt insgesamt ob der begrifflichen Unschärfe zu vage, da genau dies laut dem – wohlgemerkt – didaktischen Anspruch des Titels verdient hätte, genauer ausgeführt zu werden. Kurzum: Dem Band fehlt damit deutlich ein einführender Beitrag, der sich den Kategorien von Freiheit, Mündigkeit, Wahrheit etc. annimmt. Man hätte diese in einer an Hegel angelehnten bestimmten Negation verorten können, die z.B. deutlicher den Ausschluss des ‚Weiblichen‘ zu fassen vermag und diese Begriffe und Kategorien im Sinne einer dialektischen Betrachtung beweglich und offen hält, anstatt sie – wie das partiell getan wird – so starr und ahistorisch gegen die zurecht kritisierten Dogmen der Postcolonial und Gender Studies anzuführen.

Dass das anders geht, zeigt der bereits 1993 erschienene Sammelband, Der Streit um Differenz, in dem es Seyla Benhabib im Streitgespräch mit Judith Butler überzeugend gelang, eine universalistische Position, die sich in der kritischen Theorie verortet, zu beziehen. Die dort verhandelten Debatten zwischen Benhabib, Butler, Drucilla Cornell und Nancy Fraser können als Gespräch zwischen zweiter und dritter Welle des Feminismus gelesen werden und haben an Aktualität nichts eingebüßt. Sich gegen das vermeintlich offenkundige Bündnis von Postmoderne und Feminismus wendend, welches zeitgenössisch noch stärker als 1993 ausgeprägt sein dürfte, fragte Benhabib: „Feminismus oder Postmoderne?“ und unterstrich, dass „die postmodernen Positionen nicht nur das Spezifische der feministischen Theorie auslöschen, sondern sogar das Emanzipationsideal der Frauenbewegung schlechthin in Frage stellen“.5 Gegen Postfeminismus und Poststrukturalismus Butlerscher Provenienz, die auf dem Tod des Subjekts, der Geschichte und aller Metaphysik beruhen, plädiert Benhabib darin für eine schwache Version dieser „Tode“, die zugleich versucht das politische Subjekt der Frau zu erhalten. Wollte man dem selbst gesetzten didaktischen Anspruch daher gerecht werden, der explizit herauszuarbeiten hätte, was eben genau am Partikularismus und Kulturrelativismus postmoderner Provenienz und der damit verbundenen Absage an einen universalistischen Feminismus so problematisch sei, hätte man dies deutlicher anhand einer immanenten Kritik der feministisch-postmodernen Positionen herausarbeiten können. Recht unterbelichtet bleibt in Freiheit ist keine Metapher zudem das Konzept des Intersektionalismus. So bezieht sich Rocio Rocha Dietz in ihrem Beitrag zwar auf die Kritik durch die Sozialwissenschaftlerin Karin Stögner und streicht korrekt heraus, dass in der Trias von Race, Class und Gender der Antisemitismus nicht vorkomme bzw. lediglich unter der Kategorie Race subsumiert werde. Von Dietz ausgeblendet wird hierbei jedoch, dass Stögner sich vielmehr an einer rettenden Kritik des Intersektionalismus versucht, die Ideologien wie Antisemitismus, Sexismus und Rassismus in ihren Verstrickungen zur Gesamttotalität zu begreifen sucht und damit eine Vermittlung zur kritischen Theorie Horkheimers und Adornos anstrebt. Die Frage nach dem Intersektionalismus – gleich ob man sich affirmativ oder kritisch dazu positioniert – bleibt im Band kaum berührt, wenn dieser nicht nahezu vollends negiert und für unbrauchbar erklärt wird.6

Verbleibt der zeitgenössisch vorherrschende Begriff des Intersektionalismus tatsächlich unterkomplex, was das Verhältnis von Rassismus und Antisemitismus angeht, so weisen Sama Maani, Polina Kiourtidis und Hannah Kassimi mit Verweis auf die in der Tradition der kritischen Theorie stehenden Wissenschaftler Moishe Postone und Detlef Claussen auf eine notwendig vorzunehmende Unterscheidung beider Phänomene hin. Kiourtidis stellt hierbei auch heraus, dass es ein „Mythos“ sei, dass „zwischen Antisemitismus und Antizionismus“ eine „klare Trennung“ vorliege.

Schlussendlich hätte man auch Edward Saids Orientalism sowie dessen überbordende Rezeption in den Geisteswissenschaften, auf das mitunter weite Teile Butlers Argumentation rekurriert7, umfassend diskutieren müssen. Das Saidsche Gründungswerk des Postkolonialismus verfügt etwa in Ethnologie und Religionswissenschaft über maßgebliche Deutungshoheit und hat der politisch Linken über zahlreiche Multiplikatoren vermittelt die Fähigkeit zu einer Religionskritik – gleich ob im Voltaireschen, Feuerbachschen oder Marxschen Sinn – ausgetrieben.8 Bis auf wenige Ausnahmen – Ljiljana Radonić, Hannah Kassimi, Fathiyeh Naghibzadeh und Janina Marte – die sich rudimentär mit Said auseinandersetzen oder ihn als problematischen Angelpunkt der Postcolonial Studies zumindest benennen, lässt dies das Buch leider vermissen. Ungeachtet der mangelnden inhaltlichen Tiefe und diesen Versäumnis bleibt offenkundig, dass eine an den Postcolonial und Gender Studies angelehnte kulturrelativistische Haltung Kinderehen, Angriffe und Säureattacken auf Frauen sowie Vollverschleierung und Genitalverstümmelung schön redet bzw. gar verleugnet. Man reibt sich immer wieder verwundert die Augen über derartige Relativierungen und mag kaum glauben, dass sich als Feministen verstehende Subjekte derartig positionieren, aber diese Dinge sind evident und werden im Band anhand zahlreicher Beispiele veranschaulicht. Trotz der angesprochenen Schwächen soll hier eine Leseempfehlung stehen bleiben, die zugleich einfordert, sich umfassender mit den Ikonen der Gender und Postcolonial Studies auseinander zu setzen. Im Zentrum einer kritischen Auseinandersetzung mit postmodernen Dogmen hätten dabei unbedingt Saids Rassismus und „Israelkritik“ zu stehen, ohne das Theorem des Orientalismus vollends zu negieren, denn dieses gälte es im Sinne kritischer Theorie einem Zeitkern der Wahrheit nach entsprechend kritisch zu reflektieren. Die Kritik postkolonialer Theoriebildung im Allgemeinen und Saids sowie Butlers im Besonderen darf deshalb auch nicht darin umschlagen, die Geschichte des wissenschaftlichen Rassismus und Kolonialismus zu verleugnen. Das Problem besteht viel eher in der Dogmatisierung dieses Theorems sowie im Ausblenden Saids eigener rassistischer Perspektive, die alles westliche Denken negiert9 und jeglichen antiimperialistischen Bewegungen einen Freifahrtschein ausstellt, weil sie auf der Romantisierung des ‚Anderen‘ beruht. Ein gutes Beispiel für eine emanzipatorische Analyse liefert hingegen Dennis Schnittler in seinem Beitrag „Der ewige Neger“, in dem er eine umfangreiche materialistische Analyse des Rassismus und der Verschränkung von Produktivitätsgefällen mit kolonialer Geschichte vorlegt.

Positiv hervorzuheben sind auch die Beiträge, die sich mit dem Iran und dem Jihadismus beschäftigen. So wird der totalitäre Charakter des theokratischen Regimes der Iranischen Republik bündig und prägnant analysiert. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass er auf der Sharia fußend die Negation einer Gewaltenteilung legitimiert und bis ins äußerste Privatleben durchgesetzt wird sowie als oberstes Ziel die Auslöschung des Staates Israel inne hat. Der politische Islam wird dabei als nicht mit den Grundsätzen universeller Menschenrechte und persönlicher Freiheit vereinbar charakterisiert. Dies wird von vielen westlichen Linken aufgrund der Dogmen des Kulturrelativismus und Antiimperialismus geleugnet und fußt auf einem unterkomplexen Weltbild (Unterdrücker versus Unterdrückte). Das führt mitunter dazu, dass koloniale Vergangenheit islamisch-arabischer Herrschaft ignoriert wird, bedienen sich derartige Perspektiven doch einem strikten Okzidentalismus (Ian Buruma und Avishai Margalit), der ausschließlich den Westen, nicht aber das imperialistische Regime in Teheran zu betrachten in der Lage ist. Richtig ist auch, dass dem Weltbild des postmodernen Antiimperialismus und Kulturrelativismus folgend, der imperialistische Charakter des Iranischen Regimes ignoriert wird, was in der Unterstützung des Al-Quds-Tages sowie der BDS-Kampagne durch Linke gipfelt. Beides hat seine Ursprünge im Iran.10

Hinsichtlich des Jihadismus analysiert der Psychoanalytiker Maani die klagende „Weltsicht aller Islamisten“, die den Verlust von „Würde“ und „Ehre“ und damit den Machtverlust des politischen Islam fürchten; Maanis Deutung nach identifiziere und sehne sich der Islamist nach einem goldenen Zeitalter des „frühen Islam“, was seinen „Wut und seinen Hass“ „radikalisieren“ und an den USA, Israel, Juden sowie dem Kapitalismus ausagieren lasse. Das Gezeter um die Mohammed-Karikaturen dient Maani hierfür als negatives Exempel, dem er das Beispiel vom 2011 aufgeführten Theaterstück The Book of Mormon entgegenhält, was nicht ansatzweise zu ähnlichen Reaktionen geführt habe, da im kollektiven Bewusstsein der Mormonen der Ehrbegriff nicht annähernd so verankert sei; vielmehr habe die mormonische Kirche lakonisch wie folgt reagiert: „Sie haben das Stück gesehen, lesen sie jetzt – das Buch“. Es bleibt zu hoffen, dass sich linke Gesellschaftskritik reformulieren lässt, die sich gegen die Neue Rechte positionieren kann, ohne die Kritik der Religion der Kritik des Rassismus zu opfern. Dass „Freiheit weder westlich, noch östlich, sondern universal“ sei, wie es iranische Feministinnen zuletzt Anfang 2018 forderten, bleibt damit an den Marxschen kategorischen Imperativ zu koppeln: „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“. Freiheit ist keine Metapher kann bei allen angesprochenen Kritikpunkten durchaus einige Argumente hierfür liefern.

von Mathias Beschorner

Vojin Saša Vukadinović (Hg.)

Freiheit ist keine Metapher. Antisemitismus, Migration, Rassismus, Religionskritik

Querverlag zu Berlin 2018

489 Seiten

20 Euro

1 Z.B. an der Reaktion Judith Butlers und Sabine Harks, bei der die Kritik von Beißreflexe in die Nähe der Neuen Rechten gerückt worden ist, ablesbar: Vgl. Butler, Judith; Hark, Sabine: Die Verleumdung. Denunzieren die „Emma“ und die Verfasser des Buches Beißreflexe die Gender-Theorie? Judith Butler und Sabine Hark finden die Angriffe infam und wehren sich. In: Zeit: https://www.zeit.de/2017/32/gender-studies-feminismus-emma-beissreflex, 2. August 2017, abgerufen am 16.10.2018.

2 Vgl. Vukadinović, Vojin Saša: Butler erhebt „Rassismus“-Vorwurf. In: Emma: https://www.emma.de/artikel/gender-studies-sargnaegel-des-feminismus-334569, 28. Juni 2017, abgerufen am 16.10.2018.
3 Exemplarisch hierfür: Maul, Thomas; Schneider, David: Asexuelle Belästigung. Warum #MeToo ein großangelegter Übergriff auf die Residuen bürgerlicher Zivilisation ist. In: Bahamas: Nr. 78, 2018.
4 Siehe Salzborn, Samuel: Kampf der Ideen. Die Geschichte politischer Theorie im Kontext, Baden-Baden 2015, S. 113ff.
5 Siehe Benhabib, Seyla: Feminismus und Postmoderne. Ein prekäres Bündnis. In: Benhabib, Seyla; Butler, Judith; Cornell, Drucilla; Fraser, Nancy (Hg.): Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Frankfurt am Main 1993, S. 9 bzw. 13.
6 Vgl. Pintul, Naida: Regressive Lifestyles bewerben. Queerfeminismus – das aktivistische Verfallsprodukt des Gender-Paradigmas, im vorliegenden Sammelband.
7 Vgl. Butler, Judith: Am Scheideweg. Judentum und die Kritik am Zionismus, Frankfurt am Main 2013.
8 Siehe Weiß, Volker: Dröhnendes Schweigen. Früher war Religionskritik die vornehmste aller marxistischen Tugenden. Doch zum Glaubensterror des islamischen Fundamentalismus hat die westliche Linke nichts zu sagen. In: Zeit: http://www.zeit.de/2015/15/religionskritik-linke-fundamentalismus-islamismus. 23. April 2015, Abgerufen am 16.10.18.
9 Vgl. Salzborn: Kampf der Ideen, S. 34 und S. 149.
10 Vgl. Markl, Florian: Der Ursprung der Israel-Boykottbewegung. In: Sans Phrase, Zeitschrift für Ideologiekritik, Nr. 11, 2017, S.49ff.

No interest – no future

Die Finanzkrise aus sozialdemokratischer, also systemimmanenter Perspektive zu analysieren bietet zwar wenig ökonomische Erkenntnisse (außer, dass Krisen eben passieren), jedoch hilft es einem im Land von Schramm und Pispers, Walser und Grass die gesellschaftlichen Entwicklungen nach dem Zusammenbruch des US-Immobilienmarkts 2007 zu verstehen. Mag man nämlich nicht wahrhaben, dass die Krise unumgänglicher Bestandteil kapitalistischer Vergesellschaftung ist, so gilt es nach dem faulen Apfel im Korb zu suchen. Für den demokratischen Sozialismus ist das wahlweise der Staat (also die falsche Staatsregierung) oder die Wirtschaft (die Zocker in den Bankenhochhäusern). Continue reading „No interest – no future“

Das Schweigen über die Täterideologie. Zum Ausbleiben einer Debatte nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt

Ich bin hier, gelobe, dem Kalifen, Abu Bakr Al-Baghdadi zu gehorchen, was auch immer er mir befiehlt, auch wenn es zu meiner Abneigung wäre, und weiter zu tun, es sei denn, mir wird befohlen, etwas zu tun, von dem ich sicher weiß, dass es im Islam verboten ist. Ich gelobe auch, für den Islam zu arbeiten, um zu herrschen, zu urteilen und nach seinen Regeln beurteilt zu werden und hart zu arbeiten, bis der Islamische Staat gut etabliert und gegründet ist. Schließlich verspreche ich, mich aktiv am Dschihad gegen die Feinde Allahs zu beteiligen, so viel ich kann. Und zu jenen Ungläubigen, die die Moslems jeden Tag bombardieren, schwöre ich, dass wir sie jagen und sie wie Schweine für das töten, was sie mit diesen Moslems tun. Hast Du gedacht, dass das, was Du ihnen antust, ungestraft sein wird? Es gibt Massen von Moslems auf der ganzen Welt, die bereit sind, die Moslems zu rächen, die sie töten, und sie werden gerächt werden, denn wir sind stark und entschlossen, den Preis für ihre Handlungen gegen sie zu zahlen. Und ich fordere meine moslemischen Brüder und Schwestern auf der ganzen Welt auf, am Dschihad teilzunehmen und für die Dominanz dieser Religion zu kämpfen, so viel wie jeder von Euch kann. Wenn Du Deinen Brüdern nicht an den Frontlinien beitreten kannst, dann kämpfe für den Islam in Deinen Ländern. Und wenn sie in Europa leben, dann kämpfen sie gegen diese Schweine, jeder zu seinen eigenen Fähigkeiten. Möge Allah uns Erfolg in diesem Kampf geben. Ich verpflichte mich Allah und gelobe, so viel Blut zu vergießen, wie es für den Islam nötig ist. Ich bete für Allah, um mir den Weg zu ebnen, jene Ungläubigen zu töten, die den Islam und die Moslems bekämpfen.
Anis Amri in Berlin, übersetzt von „Daily Mail“.[1]

Vor zwei Monaten fuhr ein junger Muslim mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge, riss elf Menschen aus dem Leben und verletzte 55 weitere, teilweise lebensgefährlich. Zuvor tötete er den polnischen Lkw-Fahrer Lukasz U., machte noch ein Selfie und schrieb einem Glaubens- und Gesinnungsgenossen: „Mein Bruder, alles in Ordnung, so Gott will. Ich bin jetzt im Auto, bete für mich mein Bruder, bete für mich.“ Eine Debatte über die islamische Vernichtungsideologie, durch die dieser Mann jede menschliche Regung in sich abgetötet hat, um eines der ersten, man sollte meinen, universell geltenden Gebote der Zivilisation, „Du sollst nicht töten!“, hemmungslos zu überschreiten, blieb aus.
Das ist insofern nicht überraschend, als dass im kultursensiblen Deutschland der Islam bekanntlich mit wenig etwas zu tun hat und der Versuch, seine Ehre nach jeder Scheußlichkeit, welche die von ihm Überzeugten in die Welt setzen, wiederherzustellen, Teil des volksgemeinschaftlichen und keine Parteien mehr kennenden „Kampfes gegen rechts“ ist. Es verwundert dann allerdings doch dahingehend, dass die Tatsache, dass sich die Mordbrennerei des Dschihads nicht mehr auf Israel, Frankreich, Spanien oder Großbritannien beschränkt, sondern der eigene Leib durchaus in Gefahr ist, die Fähigkeit zur Erfahrung doch hätte beleben müssen, sodass der ideologische Schleier wenigstens temporär fällt. Die Debatte nach den Misshandlungen auf der Kölner Domplatte bewies zumindest, dass selbst hierzulande liberale Kritik sich bisweilen durchzusetzen vermag, insofern der Frage nach der Sozialisation der Täter nachgegangen wurde. So meldeten sich nicht nur Alice Schwarzer, sondern auch Zana Ramadani in der „Welt“ und bei Markus Lanz zu Wort, Kamel Daoud namensgebender Artikel über das sexuelle Elend in der arabischen Welt, der ursprünglich in Frankreich erschien, wurde für die „Faz“ übersetzt – am Ende der Debatte war vielen, vielleicht sogar den meisten klar, dass das islamische Frauenbild, wenn auch nicht das Geschlechterverhältnis, durchaus etwas mit den Übergriffen zu tun hatte. Vergleichbare Artikel oder Stimmen in den Polit-Talkshows waren nach dem Anschlag in Berlin allerdings nicht zu lesen bzw. zu hören. Eine gesellschaftliche Debatte über die Ideologie, in deren Namen gerade eine Blutspur durch die nicht zuletzt auch christliche Zivilisation gelegt wurde, als deren sympathisch-kommerzielles Symbol der Weihnachtsmarkt durchaus gelten kann, fand einfach nicht statt.

Im Kapitalismus, genussorientier aufgehobenes Christentum. Hassobjekt des Islam | Weihnachtsmarkt Breitscheidplatz
Im Kapitalismus, genussorientiert aufgehobenes Christentum. Hassobjekt des Islam | Der Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz, Berlin

Das Elend der politischen Talkshows
In Maybritt Illners Sendung vom 20. Dezember wurde die Frage nach dem Islam erst überhaupt nicht gestellt, dafür aber die notorische Berufsmuslima Nemi al-Hassan eingeladen, die ihre Propaganda über einen von der Bundeszentrale für politische Bildung unterstützten Youtube-Kanal unter die Leute bringt. In den Clips der „Datteltäter“, deren Name allein schon die Opfer islamisch verstörter Menschenfeinde verhöhnt, darin allerdings wenigstens seinen Zweck als staatlich finanziertes Propagandaformat deutlich enthüllt, erzählt sie, die mal lächelnde, mal ganz ernst dreinschauende Unschuld, zum Beispiel von ihrem persönlichen Dschihad. Dieser bestehe darin, freundlich und im Dialog zu bleiben. Sie warnt vor Leuten, die vom „heiligen Krieg schwadronieren“, und meint damit nicht etwa die Dschihadisten selbst, sondern jene, die vor Anschlägen in U-Bahnen warnen und damit doch nur ihre „Vorurteile gegenüber einer ganzen Weltreligion“ zum Ausdruck bringen würden. Selbstverständlich schämt sie sich auch nicht, diese in die Nähe der Mörder selbst zu rücken. Für den bundesdeutschen Dialog der Kulturen lädt man also eine Befindlichkeitsdschihadistin ein, für die das Taharrush gamea der Kölner Silvesternacht Anlass dafür war, doch einmal über das deutsche Problem der Frauenfeindlichkeit zu reden, insofern etwa in Schulen Mädchen erzählt würde, sie seien schlecht in Mathematik.
Bei Markus Lanz kam man tatsächlich auf die Rolle des Islam zu sprechen. Zwar eröffnete der Gastgeber vernunftgemäß, man verdränge und vergesse, dass es, mit Betonung des Alters, sich bei den jüngeren islamistischen Taten um eine Vierzehnjährige in Hannover, die mit einem Messer einen Polizisten lebensgefährlich verletzte, und einen Zwölfjährigen Bombenbauer in Ludwigshafen handelte. Darauf folgte jedoch ein Trauerspiel, das gerade in seiner Niederträchtigkeit repräsentativ für die bundesdeutsche Debatte gelten kann und deshalb im Folgenden ausführlich resümiert werden soll: Statt nämlich der Vertiefung dieses Sachverhalts, dass offenbar schon Kinder anfällig für dschihadistische Indokrtination sind und es Gründe dafür geben könnte, die über entwicklungspsychologische hinausgehen, folgten die üblichen von Ideologie und Sozialisation reflexartig abstrahierenden Abwehrmanöver, entpolitisierende Psychopathologisierung und antiwestliche Viktimisierung. Den Part, das im Positivismus angelegte widerliche Potenzial zu entfalten, übernahm dabei der sogenannte Angstforscher Borwin Bandelow, der versicherte, es bei Islamisten mit krankhaften Narzissten zu tun zu haben: „Es geht um Macht, es geht nicht um Religion, das sind gottlose Menschen, die mit Religion eigentlich nichts am Hut haben“, um später dann, ohne es freilich zu bemerken, sich selbst zu widersprechen:

„Ich glaube, dass hinter jeder fanatischen Religion ein Problem steckt, das tief in unserem Gehirn ist, und zwar im sogenannten Belohnungssystem. […] Ich würde eben sagen, das eine Anzahl von Menschen, die ein Problem mit diesem Belohnungssystem haben, nämlich zu wenig an Endorphinen, dass die eben versuchen, diese Endorphine anzustacheln, indem sie entweder Frauen vergewaltigen oder kriminelle Handlungen begehen oder aber sich mit einer Bombe in die Luft sprengen. Das sind alles so narzisstische Handlungen, die der Gewinnung von Endorphinen gehören und dann kommt eben diese Religion, die einem das so leicht macht.“

Der IS wende sich an jene, die Opfer seien, bei denen, so Bandelow, bisher nicht viel war mit Belohnung, die keiner mag und keine Arbeit bekommen haben, weil sie anders aussehen. Mit Lkws in Menschenmengen rasen, so weiß der neurowissenschaftlich geschulte Positivist, der sein Brot auch als Sozialpädagoge missverstandener Neo-Nazis verdienen könnte, ist eine Antwort auf Diskriminierungserfahrungen. Was hier schon mitschwingt, dass die Gesellschaft am Islamismus doch selbst Schuld hat, eine Einsicht, die dieser Halbgebildete vorauseilend-einfühlend durch die Identifikation mit dem Täter erhält, wird von dem allen Ernstes als Nahostexperten eingeladenen Michael Lüder offen ausgesprochen. Der schreibt Bücher, die darüber belehren, dass wir vor dem Islam keine Angst haben müssen und dass reiche New Yorker Juden sowie Israel für den Irankonflikt verantwortlich zeichnen.[2] Da er als Funktionär der deutsch-arabischen Gesellschaft auch seine materiellen Interessen vertritt, überraschen solche Aussagen auch kaum. In der öffentlichen Debatte Deutschlands wird ein solcher Umstand aber nicht als Grund zur Befangenheit wahrgenommen, sondern dient dazu, nachdem gerade Menschen auf bestialische Weise ermordet wurden, zur Klärung dessen Expertenstatus zu erhalten. Für ihn ist entsprechend klar:

„Die Antwort liegt nicht in der Religion“, sondern in politisch-gesellschaftlichen Ursachen, eine Chiffre für unsere und die Schuld des Amis: „Natürlich sind wir ganz erheblich daran Schuld durch diese Kriege, die nicht wir, aber namentlich die Amerikaner unter George W. Bush geführt haben. […] Ich kann nicht als westliche Ordnungsmacht ein Land nach dem anderen zerstören, Millionen Menschen die Zukunft nehmen, ganze Staaten zerlegen in jeder Hinsicht […] aber die Grundidee durch militärische Intervention politische Ordnung schaffen zu wollen in den Ländern der islamischen Welt hat ein Desaster produziert, das wir nicht zuletzt durch diesen Terroranschlag in Berlin gewissermaßen als Spiegelbild vorgeführt bekommen. Es war ein fataler Fehler der Amerikaner diese Zerstörung anzurichten und wir in Europa zahlen dafür paradoxerweise den Preis. Die Amerikaner sind geschützt durch den Atlantik, aber wir haben jetzt sozusagen durch diese ganzen Kriege die Reaktion auszu[baden].“

Das hierin zum Ausdruck kommende Straf- bzw. Selbstgeißelungsbedürfnis verdient keinen Kommentar, wohl aber die Entgegnungen des in dieser Runde einzig Vernünftigen, Christoph Schwennicke vom „Cicero“. Dem stand die Hilflosigkeit ins Gesicht geschrieben, doch ließ er sich wenigstens nicht dumm machen von den über ihre Eigentlichkeitsideologie Verbrüderten, der auch noch der Terrorismusexperte Elmar Theveßen verfallen ist, wenn er vom Dschihadismus als einer im 13. und 14. Jahrhundert entstandenen Verfälschung spricht, die „nicht der Islam ist“.
Schwennicke beharrte völlig zurecht darauf, dass dieser sehr wohl mit dem unreformiert gebliebenen Islam zu tun habe, weshalb es auch kein Zufall sei, dass seit 2001 fast der gesamte Terror von Anhängern dieser einen Religion verbrochen wird, und im Christentum keine Jungfrauenorgien für heilige Kämpfer vorgesehen seien. Dass er dann auch noch die Dreistigkeit besaß, Samuel Huntingtons „Kampf der Kulturen“ (das im Englischen den weniger missverständlichen Titel „The Clash of Civilizations“ trägt[3]), zu erwähnen, dessen Thesen er nun bestätigt sieht, durfte natürlich nicht ungestraft bleiben, weshalb Theveßen dieses Buch in den Kontext einer islamfeindlichen Bewegung in Europa stellte, deren Speerpitze Breiviks Massaker gewesen sei.
Markus Lanz, der sich gegen jede Erfahrung mit den meisten Deutschen darin einig sein dürfte, dass es einen Generalverdacht gegenüber Muslimen geben würde, entgegnete dem Cicero-Autor, der dessen Existenz zurecht bezweifelte, mit einem entschlossensten „Ja!“, den gebe es! Nicht nur versichert er sich mit dieser deutschen Volksweisheit, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, er plaudert auch seine eigene, durch Verdrängung der Problematisierung des Islam, in die Projektion des Generalverdachts mündende Befürchtung aus, dass die muslimische Sozialisation unter Umständen eben doch die Gefahr birgt, todesverliebte Kuffar-Hasser hervorzubringen, die ihm an den Kragen wollen. Wenigstens muss man Lanz zu Gute halten, dass er Schwennicke das letzte Wort überlies: „Nicht ich führe irgendeinen Kampf der Kulturen, sondern es sind Hassprediger, Salafisten […], die diesen Kampf der Kulturen führen und das ist eine Tatsache, der auch Sie ins Auge blicken müssen.“

Aus einer anderen Geschichte. Die mittlerweile von der bpb geförderten Datteltäter und ihr Antizionismus | via FB-Auftritt der Datteltätter
Aus einer anderen Geschichte. Die mittlerweile von der bpb geförderten Datteltäter und ihr Antizionismus | via FB-Auftritt der Datteltätter

Ferid Heider und die Datteltäter
Mehr als ein kleiner Hoffnungsschimmer war dies allerdings nicht. Zum ökumenischen Gottesdienst in der Berliner Gedächtniskirche lud man nämlich Ferid Heider von der Islamischen Gemeinde Deutschlands (IGD) ein, einen Islamisten, der „Erlaubtes und Verbotenes im Islam“[4] vom Holocaustbefürworter und Fernsehprediger Yusuf al-Qaradawi seinen Facebook-Followern zur Lektüre empfiehlt. In diesem Buch werden nicht nur das Schlagen und die Misshandlung der Frau gerechtfertigt, Homosexualität diffamiert und Juden als zum Betrug neigende Rasse bezeichnet, auch vom Dschihad ist die Rede. Dieser wird als „Kampf für Allahs Sache“ bezeichnet, die „so großen Verdienst im Islam bewirkt, daß der Verdienst dessen, der die ganze Nacht betet und den Tage lang fastet, nicht daran heranreicht.“ (S. 198) Es sei außerdem die Pflicht für die islamische Gemeinschaft, „ihre Streitmacht in höchstmöglichem Ausmaß aufzubauen, um sich zu verteidigen und die Feinde Allahs und des Islam auf Distanz zu halten.“ (S. 294) Wenn der Nichtmuslim gegen den Muslim kämpft, sei „Blutvergießen erlaubt“. (S. 275) Es gilt dieselbe Feindbestimmung, die auch Anis Amri leitete: „Gegnerschaft Allahs ist nicht bloß eine Glaubenssache, sondern schließt Feindschaft gegenüber Islam und Muslimen ein.“ (S. 289) Und weiter: „Der Islam erkennt keine andere Loyalität als die zu seiner Glaubenslehre an, keine andere Beziehung als die seiner Brüderlichkeit und keinerlei Unterscheidung zwischen den Menschen als auf der Grundlage zwischen Glaube und Unglaube. Der Ungläubige, der dem Islam gegenüber Feindschaft zeigt, selbst wenn es sich um einen Landsmann, Verwandten, oder sogar leiblichen Bruder handelt, ist ein Feind der Muslime.“ (S. 211)
Die Lehre dieses offenkundig äußerst moderaten Predigers, der Vorsitzender des European Council for Fatwa and Research in Dublin ist, wird von der IGD vertreten. Durch Heiders Einladung verhöhnte man die Opfer des Anschlags, denn seine Gemäßigtheit besteht lediglich darin, zur Affirmation des Terrors nicht fortzuschreiten. Dass solche Leute auch noch mit Unterstützung der Bundesregierung Vorträge zur Deradikalisierung junger Muslime halten dürfen (bei einem vom Zentralrat der Muslime organisierten Projekt namens „Safer Spaces“), zeugt von der wahnsinnigen Naivität, die umso unnötiger ist, als dass der Verfassungsschutz durchaus weiß, mit wem man es bei der IGD zu tun hat.[5]
Das bereits erwähnte Satire-Projekt „Datteltäter“ reiht sich in diese institutionalisierte Islam- und Islamismusverharmlosung nahtlos ein. Dort nahm man den Anschlag in Berlin zum Anlass, unter dem makabren Titel „Mein Erster Anschlag & Weihnachten!“ nicht etwa die Verfolgung von Menschen durch den Islam zu thematisieren; der Sprecher fürchte nicht den Terror an sich, nur „seine Folgen für unsere Gesellschaft und das Miteinander in diesem Land.“ Dass es mitnichten darum geht, irgendetwas aufzuklären, zeigt sich schon darin, dass im Video eine Zeichentrickfigur Hass-, Wut- und Angstgespenster bekämpft, die Rezipienten also überhaupt nicht als potentiell vernünftige Subjekte gesetzt sind, sondern als Kinder, denen in der Art der Sendung mit der Maus klar gemacht werden müsse, dass das Schlimmste am Terror die Verfolgung eines Berufsmuslims – als solchen bezeichnet er sich selbst – durch das Wort „Terror“ selbst ist: eine schamlose Täter-Opfer-Umkehr, welche die Empathielosigkeit und den Narzissmus bezeugt, mit denen dort die Opfer besser instrumentalisiert werden, als es der Rechtspopulismus je könnte.
Sozialisierung und das dschihadistische Ticket
Wer meint, dass es auch dann noch um ihn zu gehen hat, wenn einer seiner Glaubensbrüder einmal mehr ein Massaker angerichtet hat, der hat sich in einer Mischung aus Selbstviktimisierung und Narzissmus eingerichtet. Diese ist typischer Ausfluss islamischer Sozialisierung und in den Allmachtsfantasien eines Anris Amris, der sich in verfolgender Unschuld – der Islam werde ja vom Westen unterdrückt – ebenso zeigt, wie bei den vom deutschen Staatsantifaschismus sekundierten Datteltätern. In bester Eigentlichkeitsideologie spalten sie alles Schlechte ab und imaginieren einen unschuldigen, reinen Islam, auch deshalb weil, wie Ahmad Mansour konstatiert, viele Muslime das kritische Denken zu Hause nicht erlernt haben, das Gefühl haben, ihre Religion beschützen zu müssen, und die Ansichten der Eltern unhinterfragt übernehmen.[6]
Da es nicht erlaubt ist, die väterliche Autorität in Frage zu stellen, findet auch keine Islamkritik statt, die ohnehin einen Ehrverlust bedeuten würde: „Die eigene Ehre der Familie, des Clans und in umfassenderem Sinne der islamischen Gemeinschaft Umma, stellt das höchste zu beschützende Gut dar, das ein Mann zu bewahren hat.“[7] Dominanz, Stärke und die Bereitschaft zur Gewalt, um die Ehre wieder herzustellen, sind Teil des Männlichkeitsideals, die Fähigkeit zur Selbstkritik und zum Eingestehen von Schuld gehört zu diesem nicht. In der islamischen Gemeinschaft ist die verinnerlichte Instanz des Über-Ichs weitestgehend ersetzt durch die äußerlich bleibenden, in der Scharia kodifizierten Regeln:

„Da Ehre etwas äußerliches ist, gibt es kein Äquivalent zur christlich vermittelten Buße, kein Ritual gliedert denjenigen, der die Ehre beschmutzt hat wieder in die Gemeinschaft ein […]. Anders also als im Zivilisationsprozess in der westlichen Hemisphäre, der Freud zufolge vor allem als Sublimierung und Internalisierung äußerer Zwänge ablief, bleiben Ge- und Verbote in der islamischen Welt vornehmlich äußerlich.“[8]

Weil Ursachen für Missstände nicht im Wesen islamischer Vergesellschaftung gesucht werden dürfen, erscheint die islamische Gewalt also als etwas, deren Ursache auf den Westen, insbesondere die Juden projiziert wird. Dies erzeugt ein Weltbild, in dem die Muslime nur als Opfer vorkommen. Wo aber die Fähigkeit zur Selbstkritik nicht erworben wird und die Kränkungen und Widerstände der Welt durch Selbstreflexion nicht auf die eigene Verstricktheit in die gesellschaftliche Realität zurückgeführt werden, gerät die Welt zur Projektionsfläche der eigenen Innenwelt. Die pathische Projektion versetzt „das sprungbereite Innen ins Äußere und prägt noch das Vertrauteste als Feind. Regungen, die vom Subjekt als dessen eigene nicht durchgelassen werden und ihm doch eigen sind werden dem Objekt zugeschrieben: dem prospektiven Opfer.“[9]
Die daraus folgende Selbstviktimisierung korrespondiert mit dem ebenfalls in der Erziehung[10] erworbenen, übersteigerten Selbstbewusstsein, das in der Verhätschelung des muslimischen Jungen durch seine Mutter gründet. Während Borwin Bandelow bei Markus Lanz den Narzissmus naturalisiert und pathologisiert hatte, wäre er gerade als Ergebnis der Sozialisation zu verstehen. Die Religion reagiert keineswegs auf eine immer schon vorhandene Störung in einem ominösen Belohnungssystem, sondern zeichnet als familiäre Praxis für die Unfähigkeit, die Ansprüche der Welt mit den eigenen zu vermitteln, maßgeblich verantwortlich. Die aus dem Ausschluss der Mutter aus der Öffentlichkeit resultierende Kränkung kann sie kompensieren, insofern sie über den ihr zugestandenen direkten Zugriff auf die Kinder an der Macht der Gemeinschaft doch noch teilhaben kann: „Der narzisstische Missbrauch verhindert beim Knaben eine realistische Selbsteinschätzung. Er entwickelt Größenphantasien und das Bedürfnis nach Heldentaten“[11], scheitert mit ersteren jedoch an der überlegenen Autorität des Vaters. Kaum überbrückbar ist deshalb die „Kluft zwischen seinem omnipotenten Selbstbild und seiner tatsächlichen Ohnmacht gegenüber dem Vater als auch gegenüber den unbewussten Aggressionen der Mutter“[12], die sie gegen ihn als Verkörperung des Patriarchats und Erinnerung an ihre untergeordnete Stellung in diesem hegt. Zudem verweilt der Vater in einer Sphäre der Unnahbarkeit und hilft dem Jungen nicht dabei, ein realistisches Selbst- und Weltbild zu entwickeln. Es kommt nicht zur Introjektion des väterlichen Objekts, durch die seine Gebote als verinnerlichtes Gewissen sich manifestieren würden[13], sondern „vielmehr zu einer gleichgeschlechtlichen Bindung an den Vater, was eine Teilhabe an der Dominanz und Macht der Männerwelt ohne eine Infragestellung der väterlichen Macht verspricht.“[14] Dies bildet die Grundlage dafür, mit den Widerständen der Welt in Zukunft nicht reflektiert umzugehen, sondern projektiv-aggressiv gegen sie anzurennen.
Das dschihadistische Ticket bietet sich dann als die ultimative Krisenlösungsstrategie an. Mit der vollständigen Unterwerfung unter den Willen Allahs und der Aufopferung für die Ummah kommt der im Narzissmus angelegte Größenwahnsinn schließlich zu sich selbst. Die in diesem Märtyrerkult zum Ausdruck kommende Kultur des Todes ist dabei diametral zur christlichen Eschatologie, in der die Toten wieder auferstehen und der Tod in paradiesischer Versöhnung abgeschafft ist. Die ohnehin unter den sexuellen Verführungen der westlichen Welt zu leiden habenden islamisierten Männer, denen im islamischen, auf Triebverzicht beruhenden Realitätsprinzip keine Sublimierung gegönnt wird und deren Wut sich deshalb auf all jene richten kann, die außerhalb der rigiden Zwangsmoral stehen und ein an freier Partnerwahl, sexuellem Genuss und Liebe orientiertes Leben führen dürfen, erwarten in der dschihadistischen Aufopferung das auf dumpfe erste tierische Natur reduzierte Szenario, in dem der Trieb sich an der grenzenlosen Jungfrauenschändung entfesseln kann. Die schon in der Erziehung erzwungene Unterwerfung unter den leiblichen Vater, zu dessen Autorität man nicht gelernt hat, sich ins Verhältnis zu setzen, wiederholt sich im Dschihadismus auf mythologischer Ebene. Die auch im Alltagsislam abverlangte Unterwerfung unter die Gesetze Allahs, was die wörtliche Übersetzung von Islam darstellt, wird lediglich auf die Spitze getrieben, die konfligierenden moralischen Ansprüche im Einklang mit den zahlreichen zu Gewalt und Dschihad gegen Ungläubige aufrufenden Passagen im Koran zurückgewiesen. Im gewaltvollen Kampf gegen das Unislamische und der vollständigen Unterwerfung unter den Übervater erlangt das narzisstische, selbstviktimisierende und triebversagende Subjekt schließlich masochistische und in der Verfolgung seiner Opfer sadistische Befriedigung, die spezifischer Ausdruck des islamischen Patriarchats ist.
Antichristliche Ressentiments
So wie nach den Silvesterübergriffen das islamische Frauenbild diskutiert wurde, hätte man die Akzeptanz antiwestlicher Gewalt thematisieren können, die muslimische Erziehung oder die Verbreitung fundamentalistischer Ansichten auch unter deutschen Muslimen.[15] Ebenso hätten die erschreckenden Reaktionen auf den deutsch-islamischen Facebookseiten, die nur verwundern können, wen schon das massenhafte Feiern der Brände in Israel nicht angewidert hat[16], diskutiert werden müssen. Stattdessen hypostasieren nicht wenige die AfD als Wiederkehr des Nationalsozialismus, wobei es ja der Islamismus ist, der sich anschickt, in verwandelter Form in dessen Fußstapfen zu treten. Beiden Ideologien gemein ist die Feindlichkeit gegenüber dem Christentum, was mit Blick auf das Ziel des Anschlags auch hätte erörtert werden können.
Herbert Marcuse betonte in seinen Feindaufklärungen über die Deutschen, dass zu den Voraussetzungen des Nationalsozialismus die Abschaffung christlicher Zivilisation gehörte, die Befreiung von den „durch die christliche Zivilisation auferlegten Beschränkungen“[17], welche nicht in bloßer, so leicht zu veralbernder Religiosität aufgehen:

„Der Glaube, den die Nazis zerstörten, um an dessen Stelle ihr eigenes System zu errichten, ist nicht in erster Linie religiöser Natur. Es ist der Glaube an die Normen und Werte der christlichen Zivilisation, insofern sie keinen unmittelbaren ‚Kaufwert’ besitzen, das heißt, nicht durch das tatsächliche Verhalten von Individuen, Gruppen und Nationen verwirklicht worden sind. In diese Kategorie gehören nicht nur die höchsten Dogmen des Christentums, sondern auch die anerkannten Grundsätze der säkularen Ethik, Geschäftsmoral und Politik.“[18]

Irritierend dürfte auf viele, sich der Kritischen Theorie verpflichtet fühlende Linke wirken, dass Marcuse die „Abschaffung des Glaubens“, an der sie sich engagiert beteiligen, als „wahrscheinlich die gefährlichste Errungenschaft des Nationalsozialismus“[19] bezeichnete. Auch die an der Religion zu rettende und viel zitierte „Sehnsucht nach dem ganz Anderen“ reduziert sich keineswegs auf das kommunistische Bilderverbot, sondern schließt, so Horkheimer, auch die Moral mit ein:

„Alle Versuche, die Moral anstatt durch den Hinblick auf ein Jenseits auf irdische Klugheit zu begründen […] beruhen auf harmonistischen Illusionen. Alles, was mit Moral zusammenhängt, geht letzten Endes auf Theologie zurück, alle Moral, zumindest in den westlichen Ländern gründet in Theologie […].“[20]

Während christliche Deutsche, die sich zu Nationalsozialisten machten, ihr Christentum tatsächlich pervertieren mussten, da die christliche Morallehre, die Egalität der Menschen, die Gewaltfreiheit und Feindesliebe, mit der völkischen Entfesselung der Triebe zu Gunsten der Volksgemeinschaft und antisemitischer Rassenhierarchie nicht vereinbar sind, müssen moderate Moslems ihre Religion nur verlängern, um sie in Richtung vollendeter Barbarei zu treiben. Das Tötungsverbot beispielsweise, das freilich im Widerspruch zur historischen christlichen Praxis steht, deren spezifisch christlicher Antijudaismus bzw. Antisemitismus gar nicht ausgeblendet werden sollen, kennt der Islam nicht:

„[A]nders als im Christentum oder Judentum verbietet der Islam nicht prinzipiell das Töten anderer Menschen, sondern legt fest, in welchen Fällen das Töten erlaubt ist. So können auch heute unzählige Fatwas verabschiedet werden, die selbst das Töten von Kleinkindern, ja schwangeren Frauen gutheißen oder gar zur Pflicht erheben. Viele der Massaker, die in der islamischen Geschichte Legion sind, verstießen keineswegs gegen religiöse Vorschriften und brauchten deshalb weder verheimlicht noch zumindest gerechtfertigt werden.“[21]

Wer klären möchte, warum auf einen Breivik so viele Amris kommen, dürfte diesen fundamentalen Widerspruch zwischen christlicher und islamischer Morallehre nicht ausblenden, den auch Horkheimer betonte, wenn er den Geist des Christentums zum einen von christlicher Praxis und zum Anderen vom Islam abgrenzte:

„Der Islam, den Schopenhauer deshalb haßte, weil er dem kollektiven Fanatismus, der brutalen Positivität unter allen Religionen am weitesten entgegenkam, entspricht dem Erwachen wilder Völkerstämme besser als die Religion des Kreuzes, deren Aufbrüche ihrem Wort und Geist seit je zuwider waren. Nicht die ‚Praxis ihrer Bekenner’, nämlich der europäischen Völker, die in der Geschichte ein dunkles Kapitel bildet, sondern die Moral ihrer Lehre ist nach Schopenhauer ‚viel höherer Art als die der übrigen Religionen, die jemals in Europa aufgetreten sind’. Der Islam dagegen fordert wenig von seinen Bekehrten und ist für Eroberung. Die Übereinstimmung von Theorie und Praxis überzeugt die Eingeborenen. Sie wollen endlich auf der Welt Karriere machen.“[22]

So zeigt sich in der vormodernen Barbarei des IS dieser unbedingte Wille zum Schlussmachen mit allen Beschränkungen. Sama Maani stellt die richtige Frage nach einer „Umkehr des Zivilisationsprozesses“, die nur mit Hilfe der Geschichtsphilosophie gedeutet werden könne.

„Heute, hundert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, werden wieder grundlegende zivilisatorische Normen über Bord geworfen. In den 1930er Jahren gingen junge Menschen aus aller Welt nach Spanien, um dort gegen die von Mussoloni und Hitler unterstützten Faschisten zu kämpfen. Heute gehen junge Menschen aus aller Welt in den Irak, um in einem Religionskrieg Andersgläubige abzuschlachten und deren Heiligtümer zu zerstören.“[23]

Es ist kein Zufall, dass die Ächtung des Christentums zumeist im Verbund mit Islamapologie und Israelhass daherkommt. So wie der Nationalsozialismus das Christentum ablehnte, es daher zum deutschen pervertierte und den Islam als kämpferische Religion zu schätzen wusste, wiederholt sich heutzutage im Dreiklang von Antisemitismus, Islamapologie und der Ächtung des Christentums das Ressentiment gegenüber Zivilisation überhaupt. Es zielt wesentlich auf die älteste Gesetzes-, die jüdische Religion, welche den Mäßigung verlangenden Gesetzesgott „später auch in den christlichen (und in besonders verzerrter Form den islamischen) Ländern aufzurichten verhalf.“[24] Im Schweigen über die Täterideologie drückt sich die Verdrängung dieser Rebellion aus, die zwar auch, aber keineswegs ausschließlich als gegen die kapitalistische Moderne gerichtete bestimmt werden kann, insofern es sich bei den „Erscheinungsweisen des politischen Islam – buchstäblich, nicht nur metaphorisch – um die Widerkehr einer barbarischen Vorzeit handelt.“[25]
Sublimierung statt Unterdrückung der Affekte
Statt aber dem antizivilisatorischen Furor Anis Amris nachzugehen und ihn in seinen Möglichkeitsbedingungen zu reflektieren, witzelte beispielsweise die „Titanic“ kurz nach dem Anschlag darüber, dass die AfD sich nun über diesen freuen würde. Wer vor der Reflexion der Sache schon ins politische Tagesgeschäft übergegangen ist, wer, unfähig zur Besinnung, sich unmittelbar und zwanghaft seine strategischen Überlegungen im „Kampf gegen rechts“ macht, der steht denjenigen in seiner Empathie- und Erfahrungslosigkeit in nichts nach, denen die Toten im Mittelmeer gleichgültig sind und offenbart sich als die andere Seite derselben Medaille. Das Leid berührt einen derart Abgestumpften deswegen nicht mehr, weil er seine eigene Gesellschaft so sehr verachtet, dass er ihren Bürgern nicht erlaubt, Opfer zu werden und deshalb sofort als Ersatzhandlung neue Täter in ihr sucht.
Weil eine wesentliche Gefahr vom Islam ausgeht, dessen rücksichtslose Kritik jedoch unterm Tabu steht, sucht sich der Selbsterhaltungstrieb ein Ersatzobjekt, auf das sich alle einigen können, den Rechtspopulismus, währenddessen die Identifikation mit dem Aggressor mehr und mehr vollzogen wird. Exemplarisch zeigte sich dies auf einer im Januar in Berlin durchgeführten Demonstration gegen Donald Trump, wo schließlich „Allahu Akbar“ gerufen wurde, und auf dem Women’s March, der von der Schariaapologetin Linda Sarsour mit organisiert wurde und als Symbol eine Synthese aus Kopftuch und amerikanischer Flagge hervorbrachte. Statt dieser „Ersatzhandlungen, welche den Trieb für das Verbot entschädigen“[26] bedürfte es der Sublimierung des Hasses und der Angst, beides natürliche Affekte nach Anschlägen, und nicht deren Unterdrückung (durch Beschwichtigung, Relativierung und Volkspädagogik) bzw. Umlenkung auf den projektiv völlig verzerrten, wenngleich natürlich durchaus gefährlichen Rechtspopulismus. Denn fehlende Sublimierung birgt immer die Gefahr des unvermittelten und irrationalen Ausbruchs und kann dabei an bestehende fremdenfeindliche Ressentiments anknüpfen.
In den Tagen nach dem Anschlag hörte man Journalisten ständig erklären, es gehe den Terroristen darum, Angst zu verbreiten und die gesellschaftlichen Gruppen zu spalten. Das ist zwar nicht völlig falsch, doch ist in erster Linie einer Projektionsleistung geschuldet. Weil man es selbst mit der Angst zu tun bekommt, erklärt man die Herbeiführung dieser zum Ziel des Dschihads. Weil man sich selbst als Teil des multikulturellen Deutschlands empfindet, bestimmt man dessen Spaltung zum Ziel des Islamismus. Dabei wird verkannt, dass der Terror nicht bloßes Mittel ist, sondern seinen Zweck in sich selbst trägt, die Vernichtung der Feinde. Auch deswegen wäre die angemessene Antwort auf die Toten nicht kitschige ökumenische Symbolik, sondern diesen Krieg, den der Westen nicht begonnen hat, auch zu führen. Und zwar auch für die Toten des 19. Dezembers 2016, die man noch nicht einmal als die Individuen, die sie einmal waren, angemessen hat betrauern können. Deshalb hätte zu gelten: Kein Vergeben, kein Vergessen.

von Felix Perrefort

[1] https://www.youtube.com/watch?v=y5oAMfPrDa4 und: http://www.dailymail.co.uk/news/article-4061096/Berlin-market-killer-Anis-Amri-shot-dead-Italy-Milan-police.html.
[2] „Der Krieg gegen den Iran ist in erster Linie Israels Krieg. Israels Führung und die Israel-Lobby wollen ihn.“ Siehe hierzu Matthias Küntzels Artikel: https://publikative.org/2012/07/04/michael-luders-und-die-reichen-new-yorker-juden/.
[3] In dem Buch wird weder heroisch-apokalyptisch zum Kulturkampf aufgerufen, noch wird Kultur nach deutscher Art verherrlicht. Dass es nicht als liberale, sondern rechte Publikation wahrgenommen wird, dürfte auch an dem von Huntington selbst zurückgewiesen, spezifisch deutschen Kultur- und Zivilisationsbegriff liegen, mit dem der Titel rezipiert wird: „Zweitens ist eine Zivilisation eine kulturelle Größe, außer im deutschen Sprachgebrauch. Deutsche Denker des 19. Jahrhunderts unterschieden streng zwischen Zivilisation, wozu Mechanik, Technik und materielle Faktoren zählten, und Kultur, wozu Werte, Ideale und die höheren geistigen, künstlerischen, sittlichen Eigenschaften einer Gesellschaft zählten. Diese Unterscheidung hat sich im deutschen Denken behauptet, während sie ansonsten abgelehnt wird. […] Die angestrebte Unterscheidung zwischen Kultur und Zivilisation hat sich jedenfalls nicht durchgesetzt, und außerhalb Deutschlands ist man sich mit Bernand Braudel weitestgehend einig, daß es illusorisch wäre, „die Kultur nach Art der Deutschen von ihrer Grundlage, der Zivilisation, trennen zu wollen“. Samuel Huntington: Der Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, 5. Aufl., München, Wien 1996, S. 51.
[4] http://www.lichtwort.de/_books/erlaubtes_und_verbotenes.pdf.
[5] http://www.verfassungsschutz-bw.de/,Lde/1946019.
[6] Vgl. Mansour, zit. n. Georg M. Hafner, Esther Schapira: Israel ist an allem Schuld. Warum der Judenstaat so gehasst wird, Köln 2015, S. 79f.
[7] Christian Knoop, Thomas v. d. Osten-Sacken: Zur Psychopathologie des Islamisten, in: Context XXI/2005. Auch online: http://www.wadinet.de/analyse/iraq/psychopathologiedesislamisten.htm
[8] Ebd.
[9] Max Horkheimer, Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt a. M. 2012, S. 196.
[10] Vgl. zu den folgenden Ausführungen den Text der Gruppe Morgenthau zur „Sozialpsychologie des islamisierten Subjekts“ und zwar den Abschnitt „Individualität und Unterwerfung“. http://www.prodomo-online.org/ausgabe-14/archiv/artikel/n/die-nacht-der-vernunft.html
[11] Ebd., S. 40.
[12] Ebd.
[13] Als idealtypisches Gegenstück kann die westliche Erziehung allerdings keineswegs gelten. Um die Herausbildung des Gewissens ist es im postbürgerlichen Zeitalter nicht unbedingt gut bestellt. Horkheimer verwies auf die Bedeutung der Auflösung der väterlichen Autorität: „Durch die zahlreichen soziologischen, psychologischen und technischen Veränderungen insbesondere der bürgerlichen Familie […] ist doch die Autorität des Vaters erschüttert. Daraus, so glaube ich, ergeben sich große Konsequenzen. Spielt das Gewissen, da die Autorität des Vaters nicht mehr dieselbe ist wie früher, eine andere Rolle? Oder kann es sich überhaupt nicht mehr herausbilden? Das sind Fragen, die heute überhaupt nicht mehr untersuchten werden. Ich glaube, aufgrund des Umstandes, daß die Familie heute nicht mehr die Bedeutung hat wie früher, wird unser gesellschaftliches Leben ganz entscheidend verändert. Eines scheint in jedem Fall klar zu sein, daß der Zusammenbruch des Vater-Mythos, ohne auch nur einigermaßen entsprechenden Ersatz, die Existenz des Gewissens als gesellschaftliches Phänomen in Frage stellt.“ Horkheimer, Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen, in: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 7, Vorträge und Aufzeichnungen 1949-1973, S. 399f. Es stünde auch zu vermuten, dass das westliche Phänomen, die Schuld für globale Missstände stets beim Westen zu suchen, mit der Auflösung der väterlichen Autorität zusammenhängt. Dazu sei auf eine Fußnote in „Das Unbehagen in der Kultur“ verwiesen, in der Freud bemerkt, dass eine zu nachlässige Erziehung seitens des Vaters „Anlaß zur Bildung eines überstrengen Über-Ichs werden“ kann. Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur, in: Ders.: Gesammelte Werke, Köln 2014, S. 929.
[14] Ebd., S. 41.
[15] Beispielsweise besitzen 44 % der marokkanischen und türkischen Muslime in Deutschland, Frankreich, Niederlanden, Belgien, Österreich und Schweden fundamentalistische Ansichten, nach denen es nur eine für alle Muslime verbindliche Auslegung des Korans gebe, man zu den Wurzeln des Islam zurückkehren und religiöse Regeln Vorrang vor dem weltlichen Gesetz haben. 47% der deutschen Muslime halten den Koran für wichtiger als die deutschen Gesetze, 45% stimmen zu, dass Juden nicht getraut werden könne, und 60% lehnen Homosexuelle als Freunde ab. https://www.wzb.eu/sites/default/files/u252/s21-25_koopmans.pdf In Großbritannien stimmten 100% der Befragten einer Umfrage zu, dass Homosexualität moralisch falsch sei[15], und 52% sie gleich illegalisieren möchten. https://www.theguardian.com/uk/2009/may/07/muslims-britain-france-germany-homosexuality und http://edition.cnn.com/2016/04/11/europe/britain-muslims-survey/.
[16] Siehe hier zu die Zusammenstellung von Kommentaren von Gerd Buurmann: https://tapferimnirgendwo.com/2016/11/25/stell-dir-vor-es-ist-terror-und-der-mob-feiert/.
[17] Vgl. das Kapitel zur „Abschaffung des Glaubens“ in: Herbert Marcuse: Feindanalysen. Über die Deutschen, Lüneburg 1998, S. 43-46, hier S. 42 und außerdem: Leo Elser: Religionskritik und Ressentiment. Die Austreibung der Transzendenz wider alle Vernunft, in: Bahamas 61/2011. Auch online: http://www.redaktion-bahamas.org/auswahl/web61-2.html.
[18] Marcuse, Feindanalysen, a. a. O., S. 43.
[19] Ebd, S. 42.
[20] Horkheimer, Die Sehnsucht nach dem ganz Anderen, a. a. O, S. 389.
[21] Knoop, Osten-Sacken, Zur Psychopathologie des Islamisten, a. a. O.
[22] Max Horkheimer: Die Aktualität Schopenhauers, a. a. O., S. 141f.
[23] Sama Maani: Respektverweigerung. Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht. Klagenfurt/Celovez 2015, S. 103.
[24] Uli Krug: Der Wert und das Es. Über Marxismus und Psychoanalyse in Zeiten sexueller Konterrevolution, Wien 2016, S. 92.
[25] Maani, Respektverweigerung, a. a. O., S. 107.
[26] Sigmund Freud: Totem und Tabu, a. a. O., S. 640.

Eine tatsächlich linke Dummheit

Die Debatte um den Text des Conne Islands „Ein Schritt vor, zwei zurück“1 scheint nicht abzureißen und offenbart die Abgründe des „tatsächlich linken Bewusstseins“ im völlig faktenresistenten Bezug auf den Islam.

Zur Erinnerung

In dem besagten Text, der vor zwei Monaten auf der Website des alternativpolitischen Freizeitzentrums in Leipzig veröffentlicht wurde, beschrieb das Plenum des Hauses das Scheitern ihres Versuches, sich „der Welle der Willkommenskultur“ anzuschließen. Die Willkommenshilfe für Flüchtlinge bestand unter anderem aus einem auf 50 Cents gedrückten Eintrittspreises für Flüchtlinge, die Veranstaltungen im Hause zu besuchen gedachten. Dieses Vorgehen, das den Beteiligten nach eigener Aussage vorerst ein gutes Gefühl verschaffte, „stellte sich als recht naiver Plan heraus.“ Die Vermittlung grundlegender Werte im Umgang miteinander scheiterte grandios, mit dem Ergebnis, dass die Verantwortlichen und ihre Gäste „seither einige Auseinandersetzungen und brenzlige Situationen auszustehen“ hatten. Der generalisierte Antisexismus – bisher anscheinend eine der Leitideologien des Ladens – war durch konkrete Vorfälle, die allmählich ein gewisses Muster abzeichneten, ins Schlingern geraten:
Die stark autoritär und patriarchal geprägte Sozialisation in einigen Herkunftsländern Geflüchteter und die Freizügigkeit der westlichen (Feier-)Kultur bilden auch bei uns mitunter eine explosive Mischung. Sexistische Anmachen und körperliche Übergriffe sind in diesem Zusammenhang im Conne Island und in anderen Clubs vermehrt aufgetreten – auch mit der Konsequenz, dass weibliche Gäste auf Besuche verzichten, um Übergriffen und Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. (Conne Island)
Bemerkenswert erscheint zumindest die ehrliche, wenn auch späte Frage, ob sie sich nicht „auf den antisexistischen Bemühungen der letzten Jahre ausgeruht haben.“ (CI) Die Frage müsste freilich ergänzt werden um jene, ob man nicht generell ziemlich falsch lag mit dem eigenen Antisexismus. Aber die Stellungnahme lässt die Bereitschaft zur Reflexion der eigenen bisherigen Annahmen erkennen, was – zumal offen ausgetragen – für einen linken Dunstkreis keineswegs selbstverständlich ist. Man muss keine Freundin des Conne Islands sein, um aus den knappen Zeilen nicht den Unsinn abzuleiten, den zahlreiche missgünstige Interpreten in diesem Text, der über weite Strecken fast schon einem Ersuchen von Verständnis und Hilfestellungen gleicht, zu erkennen gedenken. Zumal ein Vertreter des Ladens in einem Gespräch mit der Jungle World noch einmal konkretisierte, dass es sich bei der Veröffentlichung wahrlich nicht um einen Schnellschuss handelte:
Nach einem Jahr interner Diskussionen und verschiedener Lösungsversuche haben wir uns entschieden, das Thema öffentlich zu machen, um gemeinsam zu diskutieren, wie man damit umgehen kann – wie wir das auch sonst mit Problemen bei uns im Haus machen. Wir wollten also auf dieses Problem aufmerksam machen und zeigen, dass wir nicht zweierlei Maß bei unseren Hausregeln ansetzen. Und vor allem wollten wir den Besucherinnen unsere Unterstützung signalisieren und zeigen, dass wir uns damit auseinandersetzen.2

Rechte Häme und linke Neidbeißer

Von Rechten im weitesten Sinne hagelte es Häme und Spott angesichts der Veröffentlichung, was wiederum den deutlichen Unmut aus der linken Szene hervorrief. In den Kurzschlussreaktionen von dieser Seite avancierte dann auch die Leipziger Volkszeitung vermutlich aufgrund ihres Namens, dessen Geschichte zu ergooglen3 man nicht in der Lage zu sein schien, zu einer angeblich rechten Postille. Anstatt jenen teilweise durchaus fragwürdigen Applaus einfach einmal auszuhalten sowie im Zweifelsfall, und sofern man es überhaupt vermag, argumentativ gegenzuhalten, obsiegte schnell die Dünnhäutigkeit der Szene. Die „Kritik“ von Links fiel somit ungleich schärfer aus, was in weiten Strecken schon dadurch motiviert gewesen sein wird, dass es das Conne Island mit seiner Stellungnahme bis in die Spalten von Spiegel und der Süddeutschen schaffte und sogar ein paar Minuten des MDR-Programms abgreifen konnte. Für linke Aufmerksamkeitsfetischisten, die niemand wirklich ernst nimmt, schien dies zu weit zu gehen und die Neidbeißerei begann. Peter Nowak – im weitesten Sinne ein „Kollege“ von der Jungle World – hat die linke Kritik mit seinem Text „Migranten im autonomen Wohnzimmer“4 noch in recht vernünftiger, wenn auch etwas hilflose Weise für Telepolis geliefert, und kritisierte letztlich vor allem den Tonfall des Schreibens aus Leipzig: „Doch muss man den Vorsatz, die Menschen ernst zu nehmen und zu fordern, in einen Ton umsetzen, der so unangenehm deutsch klingt?“ Dabei war Nowak vermutlich bewusst, dass zahlreiche Lesarten des Textes „vom Bericht aus dem Club nicht gedeckt“ wurden, aber gewisse Formulierungen hätten „zumindest viele Spekulationen“ zugelassen. Selbstverständlich ist es gerechtfertigt, schwammige Formulierungen als solche zu kritisieren. Man sollte doch aber zumindest in demselben Maße fragen, wieso sich zahlreiche linke Publizisten und Aktivisten auf absolut haltlose „Spekulationen“, die in diesem Fall vor allem aus Unterstellungen gegenüber dem Conne Island Plenum bestehen, einließen und maßgeblich antrieben.
Völlig fixiert auf die Sprache ging es nämlich auch an anderer Stelle weiter. Nahezu parallel durfte beispielsweise ein gewisser Marcus Adler seinen Senf für das spätpubertierende Hate-Magazin hinzugeben. „Von der [Traum-]Insel in die Realität?“5 lautet Titel und Leitfrage dieses Kommentars, der sich um Orthografie erst gar nicht bemüht. Ihm geht es weniger um den Inhalt des Statements, sondern um „die semantische Ebene, auf der die Aufarbeitung geschieht.“ Demnach beginnt er auch sofort mit einer wilden assoziativen Diskursanalyse des Textes. Er schreibt:
Das große Ärgernis an dem Statement liegt in der Konstruktion[!] eines Skandals […]. Anstatt den Fokus allgemein auf sexistisches und homophobes Verhaltens[sic] seitens marodierender Mackergruppen zu legen, wird gleich zu Beginn des Statements durch den Verweis auf die sogenannte ‚Willkommenskultur‘ eine Assoziationskette in Gang gesetzt, welche Wasser auf den Mühlen der rassistischen Reproduktionsmaschinen ist.
Dass Herr Adler nicht nur des Schreibens, sondern scheinbar auch des inhaltserfassenden Lesens unfähig ist, beweist er, indem er mit keinem Wort erwähnt, dass genau jene – äußerst zweifelhafte – als allgemein behauptete Männerdominanz vom Projekt seit Jahren angegangen wird, wie sie selbst in ihrem Schreiben betonen. „Die Konstruktion“ ist dann auch schnell keine nur mehr, die die konkreten Vorfälle ersponnen hätte, sondern die „Konstruktion eines besonderen Subjekts – den Geflüchteten.“ Dem Autor scheint der eigene Widerspruch nicht so recht aufzugehen. Zum einen heißt es: „Der Kampf gegen Rassimus[sic], Homophobie, Sexismus und Antisemitismus darf nicht nur auf einer abstrakt-idealistischen Ebene erfolgen.“ Gleichzeitig möge zum anderen der „Fokus allgemein[!] auf sexistisches und homophobes Verhaltens[sic] seitens marodierender Mackergruppen“ gerichtet werden. Es bleibt dabei: Die größte Gefahr ist der Applaus von rechts, und um diesen zu vermeiden, ist jede Verdrehung der Realität gerechtfertigt.
An selbiger Stelle durften auch die selbsternannten „Freundinnen und Freunde des Conne Islands“ noch einen Nachtritt ablassen, der durch den anbiedernden Namen des anonymen Grüppchens noch mehr Schmackes erhält: „Ein anderer Text wäre möglich gewesen.“6 Auch dieser Text zeichnet sich in erster Linie durch einen massiven Kulturrelativismus aus: „Anschlussfähig an die neurechte Lehre der Nicht-Übersetzbarkeit verschiedener geschlossener Kulturen ist eben auch die Gegenüberstellung von ‚autoritär und patriarchal geprägte Sozialisation‘ und ‚westlicher (Feier-)Kultur‘. Das mögen unglückliche Zufälle sein. Oder es ist tatsächlich so, dass man in deren ‚Realität‘ angekommen ist. Mehrfach wurde das Conne Island dafür beglückwünscht.“ Nicht zuletzt, indem hier „die“ Realität kommentarlos zu „deren“ Realität umgemodelt wird, zeigt sich der Relativismus dieser Szene. Ihr Verhältnis zur Realität, die sie eh schon nur noch in Anführungszeichen kenne, zeigt sich auch in der „Analyse“ des Conne Island-Textes, die getrost dem Motto folgt: Würde man dies und das durch jene Formulierungen ersetzen, dann wäre dies ein feiner Nazitext, also tun wir so, als stünde dies auch alles schon so dort. Aus dem Satz des Conne Islands, der besagt, dass „jede Person, die sich nicht an unsere Regeln hält, des Eiskellers verwiesen wird – ungeachtet seiner/ihrer Herkunft,“ eine Abschiebungsdrohung zu dichten, sofern man den Klub durch Deutschland ersetze, ist so absurd, wie das „ungeachtet der Herkunft“ dazu schlichtweg nicht so recht zu passen scheint. Den Text hätten die alternativen Insulaner ferner nur veröffentlichen dürfen, wenn sie sich auch zu Übergriffen auf Flüchtlinge oder zur AFD positioniert hätten:
Wir halten Form und Inhalt des Textes nicht für angemessen. Er wurde nach Jahren veröffentlicht, in denen das Plenum nichts Vergleichbares zu den permanenten Übergriffen auf Asylunterkünfte und MigrantInnen, zu Heidenau, Bautzen, Dresden, Einsiedel, nichts zu dem massiven Rechtsruck, der durch Deutschland und Europa geht und mit Pegida, Legida, der AfD und der sächsischen CDU ein wichtiges Zentrum in Sachsen hat verlauten ließ. Wäre klar gewesen, dass dieses Papier nach langer Zeit des politischen Stillschweigens veröffentlicht wird, ohne diese Zustände auch nur zu erwähnen, hätten sicherlich mehr Menschen interveniert.
Jenes Stillschweigen, das es angeblich nicht gäbe, wird auch auf dem Sprachlos-Blog thematisiert. Dort wird das Haus gleich mit einem Epitaph versehen – „Im Zug der Opportunisten: Ein Nachruf auf das Conne Island.“7 Einleitend heißt es: Noch bevor ein Blick auf den Text selbst einige bizarre Elemente erkennen lässt, stellt sich eine andere Frage: Warum überhaupt?“ Die Erklärung des Plenums, „man habe eine Diskussion anstoßen wollen,“ genügt den kritischen Bloggern nicht, denn: „Als gäbe es die nicht längst. Seit fast einem Jahr werden gerade diese drei Themen mit unverhohlener Gier debattiert, wann immer irgendwer „Köln“ sagt.“ Im Text des Conne Islands dagegen steht:
Die Situation ist jedoch derart angespannt und belastend für viele Betroffene und auch für die Betreiber_innen des Conne Islands, dass ein verbales Umschiffen des Sachverhalts nicht mehr zweckdienlich scheint. Wir halten eine Thematisierung der Problematik innerhalb der Linken [Hervorheb. d. Verf.] für längst überfällig und wollen dem Rechtspopulismus nicht die Deutungshoheit in dieser Debatte überlassen. (CI)
Es ist einigermaßen mutwillig, so zu tun, als gäbe es innerhalb der Linken eine vernünftige Auseinandersetzung mit dem Islam. Im Gegenteil hat sich gerade diese Szene seit Köln nur durch Abwehr und Verleugnung des realexistierenden Islam hervorgetan. Auch dem Conne Island wäre an dieser Stelle deutlich vorzuhalten, dass ihre Fokussierung auf „stark autoritär und patriarchal geprägte Sozialisation in einigen Herkunftsländern“ keineswegs einen ernsthaften Fokus darstellt, was beispielsweise die Hallenser No Tears for Krauts eher nebenbei in einem Flugblatt anlässlich einer anderen Veranstaltung im Conne Island übernahmen: „Worüber man aber nicht reden will, ist der islamische Background einer Großzahl der Täter.“8 Auch sonst hält die dramaturgische Analyse des Conne-Textes durch die Sprachlos-Bogger, so akademisch sie scheinen mag, nur hohle Phrasen bereit. So erscheint hier wieder das „hätte-könnte“, wenn alles anders geschrieben worden wäre: „Dieser Satz [über die Sozialisation] jedenfalls hätte – tauschen wir das Wort ‚Geflüchtete‘ mit ‚Asylanten‘ – auch von einer Gida-Bühne schallen können.“

Conne Island | 2013
Conne Island | 2013

Und schließlich blamiert man sich mit solchen Sätzen: „Ganz ähnlich verhält es sich mit der ‚autoritär und patriarchal geprägten Sozialisation‘. Das mag für den Einzelfall stimmen, wird im Text des Conne Island allerdings im Modus der Sippenhaft vorgetragen.“ Wer, wie die Sprachlos-Blogger, in seinem „About“ verkündet, Texte kritisieren zu wollen, die „ein wenig genauer besehen, Zumutungen enthalten, Falsches behaupten oder die Logik mit Füßen treten“, sollte dies doch auch auf die eigenen Texte beziehen. Erst einmal müsste es heißen „im Modus der Sippenhaftung“, denn Sippenhaft ist sogar laut Duden eine „Haftstrafe für jemanden, der der Sippenhaftung unterworfen wird.“9 Wer genau zu argumentieren gedenkt, wie die Habermasianer es behaupten, sollte den Begriff der Sippenhaft dann auch für den korrekten Sachverhalt reservieren. Falsch und unlogisch ist es hingegen, Sozialisation mit Individuation zu verwechseln. Wenn an dem in den meisten Fällen völlig überstrapazierten und gerade in linken Kreisen zur puren Phrase verkommenen Begriff der „Sozialisation“ irgendetwas Wahres ist, dann, dass es sich hierbei um einen überindividuellen Prozess handelt, der also niemals nur für den Einzelfall gelten kann, sondern Kollektive verschiedenster Art und die Prägung ihrer Mitglieder meint.
All dies erscheint aber nur wie ein Vorspiel für jenen Text namens „Ein Inselwitz“ gewesen zu sein, in dem die linksdeutsche Meinung tatsächlich zu sich findet und Ausdruck erhält. Formuliert wurde er von einem gewissen Bernhard Torsch und erschien in der aktuellen Ausgabe der altlinken Konkret.10 Lesen kann man ihn im Zweifelsfall einfach am Kiosk.

Der letzte tatsächlich linke Kärntner

Auch wenn es die Junge Freiheit titelte, ist die Überschrift „Linke im Realitätsstress“ der treffendste Ausdruck des ganzen Schlamassels. Für Torsch hingegen sei das Dilemma der Leipziger nur mit dem „Setting einer Komödie“ zu vergleichen, das er folgendermaßen „auflöst“: „Nicht >Flüchtlinge< stierten Frauen an und begrapschten sie, sondern Anstarrer und Grapscher, die zugleich auch Refugees waren, taten dies. Spoiler: Das ist nicht dasselbe.“ Dass sie Flüchtlinge bzw. Muslime waren, habe also, völlig egal wie die Faktenlage aussieht, als reine Zufälligkeit zu gelten. Laut Torsch enthält der Text des Conne Islands „nach Entschlackung um[?] pseudolinke Floskeln dies: Die Steinzeitmenschen aus dem mysteriösen Orient sind leider zu doof, um zu wissen, wie man sich bei uns benimmt.“ Nun ist eine intellektuelle Entschlackungskur ein ebensolches Eigentlichkeitsgehabe, wie die euphemistisch bezeichnete „alternativmedizinische“, und eine durchweg esoterische Angelegenheit. Wobei – sofern man bei der metaphorischen Kette bleibt – das Pseudolinke nur das phantasierte Schadhafte, Verdorbene und Giftige sein kann, das ausgeschieden gehört. Dass solches Vokabular den sprachlichen Vorläufer stalinesquer Säuberungen darstellt, dürfte keine Neuheit sein. Dass Torsch hingegen sich selbst schon bald „in Gefängnissen oder am Galgen enden“ sieht, weil er die unbequeme Wahrheit verkünde, ist ein Zeichen überausgeprägter Paranoia.
Es gilt, daran zu erinnern, dass Projektionen in der Regel sehr viel über Menschen verraten, und Paranoia ist eine klassische Form der pathischen Projektion. Es handelt sich um eine maßlose Verfolgungsangst, die in erster Linie auf unbewussten und ebenfalls maßlosen Aggressionen beruht, die man gegenüber der eigenen Umwelt hegt, sich aber nicht einzugestehen bereit ist. Die eigene Angst vor Verfolgung repräsentiert somit oftmals in verzerrter Form das, was man selbst anderen an den Hals wünscht. Vernünftigen Menschen aus Leipzig zu unterstellen, sie halten Muslime für „Untermenschen“, sollte so auch als das verstanden werden, was es ist: ein bloß psychischer Akt, der mit Denken oder Urteilen wahrlich nichts mehr gemein hat. Seine eigene Disposition offenbart Torsch selbstverständlich noch etwas genauer und hierin zeigt sich, dass solcherart Schreiben maßgeblich motiviert ist durch den abgrundtiefen Hass auf alle Mitmenschen und ebensolche Verachtung für jeden kleinsten Ansatz von Zivilisation. So vermeint Torsch allen Ernstes, „dass man den >jungen Männern mit Migrationshintergrund< nur gutes Gelingen dabei wünschen mag, diese Inseln selbstgerechter Saturiertheit zu verwüsten. Vor allem, wenn sie dieses, wie Conne Island unterstellt, gerne tun.“ Sofern man den Anlass oder besser das Sammelsurium aus Anlässen noch im Blick hat, wünscht hier also einer der letzten Personifikationen eines tatsächlichen linken Bewusstseins marodierenden Jungmännern sowohl viel Erfolg als auch viel Freude bei sexuellen Übergriffen auf Frauen.
Praxisanweisungen wie diese verlangen natürlich eine gewisse Rechtfertigung, die auch sogleich geliefert wird, indem das Schweigen im autoritären Gestus des „Das sagt man nicht!“ zum Programm erhoben wird: „Von Migrationshintergrund redet, genauso wie von der Integration, niemand, der über völkische Kategorien hinausgedacht hat, und keiner, der ein tatsächlich linkes Bewusstsein hat, würde eine sozial gedachte Maßnahme einführen, um danach sofort >Missbrauch< zu rufen.“ Derart wird nun suggeriert, es sei die Veröffentlichung des Conne Islands und nicht etwa deren Verriss durch Torsch eine planmäßige Bösartigkeit und die Forderung nach Integration von Migranten ein völkischer Akt, der sich in keinster Weise von deren Vernichtung unterscheide. Das „tatsächlich linke Bewusstsein“ aber scheint zu verlangen, sich als energischer Verteidiger des Islam hervorzutun, egal wie kontrafaktisch man dabei Behauptungen aufstellt, wie zum Beispiel, dass der Islam „sich immerhin dem massenmörderischen Antijudaismus und dem Rassenantisemitismus zumindest bis zum intensiven Kontakt mit deutschen Nazis jahrhundertelang entziehen konnte.“ Wie sich diese Behauptung damit vertragen soll, dass das Gründungsverbrechen des Islam in der Vernichtung bzw. Vertreibung und Versklavung der drei jüdischen Stämme – Banu Qainuqa, Banu n-Nadir und Banu Quraiza – um Yathrib (dem späteren Medina) besteht und Mohammed nur wenige Jahre brauchte, um aus Medina eine „judenreine“ Stadt zu machen, bleibt hierbei wohl das Geheimnis des Herrn Torsch11. Tatsächlich verschweigen muss man für eine solche These neben den unzähligen Erlassen, die Christen und vor allem Juden Kleidervorschriften auferlegten und sie von nahezu sämtlichen beruflichen und öffentlichen Karrieren ausschlossen, auch, dass das erste Pogrom gegen Juden auf europäischem Boden 1066 in Granada Muslime verübten, welches gleichzeitig für mindestens 200 Jahre dasjenige mit der höchsten Zahl an Todesopfern bleiben sollte.
Man muss auch die Konkret nicht mögen, um sich ernsthaft zu wundern, dass sie diesen Text jenes Mannes, der sonst auf seinem nach dem Wappentier Klagenfurts benannten Blog – der Lindwurm – zwischen Produktempfehlungen auch seine kritischen Einfälle hinterlässt. Ein kurzer Blick auf einen einzigen Text sei erlaubt, da dieser recht eindrucksvoll den Geisteszustand der personifizierten Gesamtlinken in Bezug auf den Islam und Religion im Allgemeinen verdeutlicht. Die Attentäter von Brüssel erscheinen dort nicht mehr als Menschen, die man als solche ernst zu nehmen hätte, sondern nur noch als „wandelnde Exkremente.“12 Im Unterschied zum kommunistischen Agitbündnis „Ums Ganze“, das seine antinationale Kampagne unter dem Slogan „Staat. Nation. Kapital. Scheiße.“ laufen lässt, aber zumindest noch Abstrakta als solche bezeichnet und keine Menschen, zeigt sich hier, dass der penetrante Vorwurf, andere würde Muslime als „Untermenschen“ bezeichnen, tatsächlich ein psychischer Inside Job ist. Besonders symptomatisch fällt auch die tatsächlich linke Religionskritik aus, die da wie folgt lautet:
Wo aber kommen diese Mordbuben her und was treibt sie an? Schlichtere Gemüter meinen, das liege am Koran. Aber mit den Religionen ist das so eine Sache. Schon Jesus, der Hippie aus Galiläa, predigte nicht nur Wange-Hinhalten und Feindesliebe. ‚Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert‘, ließ er via Lukasevengelium[sic] ausrichten. Damit hinterließ er Sätze, auf die sich zwei Jahrtausende lang jeder sich christlich nennende Schlächter berufen sollte. So ähnlich ist das auch mit dem Koran. In dem steht, wie in jedem weltreligiösen Standardwerk, alles und sein Gegenteil. Aufrufe zu Mildtätigkeit und Toleranz reihen sich an Passagen, die man durchaus als theologische Rechtfertigung zum Massenmord missbrauchen kann.13
Selbst von einem der es als erwachsener Mann noch nötig hat, von Jesus dem Hippie zu palavern, sollte man doch eigentlich erwarten können, wenn er im gleichen Atemzug Islamkritiker als „schlichtere Gemüter“ verunglimpft, dass er des Lesens und Denkens zumindest in Grundzügen fähig ist. Nur kommt die linke Religionskritik, die alle Religionen als identisch zu betrachten versucht, schlichtweg nicht ohne grobe Verzerrungen aus. Der von Torsch zitierte Satz wird kaum auch nur einem Schlächter als Rechtfertigung gedient haben können; zumindest nicht, wenn dieser potenzielle Schlächter den Satz nicht als vereinzelten von Google vorgeworfen bekam. Selbst in der Rede Papst Urbans des Zweiten auf dem Konzil von Clermont im Jahren 109514, in der er zum ersten Kreuzzug aufrief, kommt der Satz nicht vor. Kurz ins Detail: Erstens stammt der Satz nicht aus dem Lukas-, sondern dem Matthäus-Evangelium – dort 10:34: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ Liest man aber die folgenden Zeilen, so steht dort geschrieben: „(35) Denn[!] ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien[!] mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.“ Bei dem angeblich zitierten Lukas hingegen heißt es – wohlgemerkt unter der Überschrift „Entzweiungen um Jesu willen“ in Vers 12:51ff:
Meint ihr, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage: Nein, sondern Zwietracht [Hervorheb. d. Verf.]. Denn von nun an werden fünf in einem Hause uneins sein, drei gegen zwei und zwei gegen drei. Es wird der Vater gegen den Sohn sein und der Sohn gegen den Vater, die Mutter gegen die Tochter und die Tochter gegen die Mutter, die Schwiegermutter gegen die Schwiegertochter und die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter.15
Es ist sowohl ein Jammer als auch eine Blamage, wenn der einzige vermeintlich kriegerische Satz, den man kontextlos dem Neuem Testament vorwirft, keineswegs einen Krieg gegen Ungläubige meint, sondern einfach nur die Entzweiung oder Spaltung – wie es in anderen Übersetzungen heißt – der Familienbande. Jeder Ausspruch wie auch das gesamte Leben von Jesus, der es ganz dezidiert ablehnte, bewaffnet zu kämpfen und Nächstenliebe auch gegenüber dem Feinde predigte, verbietet inhaltlich eine Gleichsetzung mit dem Schlächter und Beutemacher Mohammed, welcher gemäß der islamischen Ideologie Leitfigur aller Muslime sein soll. Der christliche Pazifismus – dem hier wahrlich nicht blauäugig das Wort geredet werden soll – hatte über Jahrhunderte für den Klerus Bestand. Man sollte nicht vergessen, dass obwohl das Christentum schon (bzw. erst) unter Konstantin erstmals zur staatstragenden Religion erhoben wurde, das Urverbrechen des Christentums – die Kreuzzüge – erst nach einer 1000-jährigen Geschichte stattfand, und gleichzeitig sofort vonseiten des Klerus auch theologisch kritisiert wurde. Zum Vergleich betrachte man den Islam, der schon als Ur- und Frühislam vordergründig auf militärische Eroberung ausgerichtet war. Selbstverständlich setzt sich solche unterschiedliche Geschichte auch verschiedentlich im theologischen Gehalt der jeweiligen Religion ab. Doch Torsch schreibt:
Es ist keineswegs ausgemachte Sache, dass sich stets nur die durchsetzen, die aus ihren jeweiligen ‚heiligen‘ Schriften immer nur die Affirmation der menschlichen Niedertracht herauslesen, und sowohl die islamische (Kultur)Geschichte als auch die Lebenspraxis hunderter Millionen Muslime zeigen, dass Islam auch anders kann als nur Unterdrückung und Krieg.
So etwas zu schreiben verlangt jedoch, dass man sich nicht äußert zu den zahllosen in den meisten islamischen Staaten rechtlich abgesicherten Gewaltakten wie Polygamie, Todesstrafe für Homosexuelle und Vergewaltigungsopfer, Unterdrückung der Frau in einem vergleichslosen Maße, nahezu völlige Vertreibung aller Juden inklusive Zinsverboten … und so weiter und so fort. Mit keinem Wort erwähnen darf man ferner, dass die islamische Theologie sehr genau und begründet vorgibt, welche Stellen des Korans Gültigkeit haben und welche nicht, da sie durch spätere aufgehoben wurden. Bezug nimmt das tatsächlich linke Bewusstsein dabei mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit auf die erstaunlich tragfähige Mär vom islamischen Frühhumanismus:
Als man in Europa Humanismus noch nicht einmal buchstabieren konnte, einander andauernd massenweise abschlachtete, Häretiker verbrannte und Juden massakrierte, entwickelte sich im arabischen Raum eine Art von Frühhumanismus. Muslimische und jüdische Gelehrte schufen auf der Basis antiker Philosophie, theologischer Texte und rabbinischer Dispute ein erstaunlich modern wirkendes Denken.16
Dieser „Gegensatz“ ist dermaßen unberührt von Fakten, dass es sich kaum lohnt, auf ihn einzugehen. Nur so viel: Die bekannten Philosophen, auf die hier angespielt wird, hatten allesamt eine sehr kurze Wirkungsgeschichte im islamischen Kulturraum. Averroës bzw. Ibn Ruschd wurde verbannt und seine Werke verbrannt, mit dem philosophischen Schriften Avicennas, al-Kindis, al-Razis und al-Farabi verhielt es sich – meist kurz nach deren Tod – leider nicht anders. Das sogenannte „goldene Zeitalter des Islam“ begann aus islamischer Sicht erst genau zu jener Zeit, als durch den islamischen Innerlichkeitspropheten Al-Ghazali alle Ketzereien der frühen eben nicht islamischen, sondern höchstens muslimischen und oftmals nicht arabischen, sondern persischen Aristotelikern auch ideologisch verbannt wurden und die Tore der Philosophie für Jahrhunderte wieder geschlossen worden waren. Das Wüten des Bernhard Torsch sei nun „ein Zweifrontenkrieg, denn diese schattenhafte Freiheit wird nicht nur von Jihadisten bedroht, sondern mehr noch[!] von jenen, die vorgeben, sie zu verteidigen, nämlich von europäischen Rechtsradikalen und Rechtspopulisten.“17 Selbst für das ehemalige Herrschafts- bzw. Wirkungsgebiet Haiders dürften seine Ängste vor dem Galgen mehr als nur latent überzogen wirken, was man leider für zahlreiche islamische Länder nicht behaupten kann. Herr Torsch und mit ihm ein Großteil der Linken haben sich ihre Lieblingsfront aber schon längst erkoren. Tatsachen jeglicher Art scheinen dabei ebenso zu stören, wie die islamkritischen Urteile von Karl Marx, Ernst Bloch und Max Horkheimer, denen es mit Sicherheit auch einfach nur an einem „tatsächlich linken Bewusstsein“ mangelte.

von Paulette Gensler
1 https://www.conne-island.de/news/191.html
2 http://jungle-world.com/artikel/2016/42/55027.html
3 Hinweis: https://www3.spd.de/99978/20130522_150jahrespd.html
4 https://www.heise.de/tp/features/Migranten-im-autonomen-Wohnzimmer-3351582.html
5 http://hate-mag.com/2016/10/von-der-traum-insel-in-die-realitaet-kommentar-zum-conne-island/
6 http://hate-mag.com/2016/11/freundinnen-und-freunde-des-conne-islands-ein-anderer-text-wa%CC%88re-mo%CC%88glich-gewesen/
7 http://sprachlos-blog.de/im-zug-der-opportunisten-ein-nachruf-auf-das-conne-island/
8 http://nokrauts.org/2016/10/im-diskurs-sind-alle-katzen-grau/
9 http://www.duden.de/rechtschreibung/Sippenhaft
10 http://www.konkret-magazin.de/hefte/id-2016/heft-122016/articles/in-konkret-1647.html
11 http://juedischerundschau.de/massenmord-in-mohammeds-gegenwart-135910240/
12 https://lindwurm.wordpress.com/2016/03/22/terror-in-bruessel-der-dritte-weltkrieg-und-wer-ihn-gegen-wen-fuehrt/
13 https://lindwurm.wordpress.com/2016/03/22/terror-in-bruessel-der-dritte-weltkrieg-und-wer-ihn-gegen-wen-fuehrt/
14 http://www.manfredhiebl.de/urban.htm
15 http://www.bibelwissenschaft.de/bibeltext/Lk12,1-53/
16 https://lindwurm.wordpress.com/2016/03/22/terror-in-bruessel-der-dritte-weltkrieg-und-wer-ihn-gegen-wen-fuehrt/
17 https://lindwurm.wordpress.com/2016/03/22/terror-in-bruessel-der-dritte-weltkrieg-und-wer-ihn-gegen-wen-fuehrt/