Es ist der 9. November, an dem sich die deutsche Nation ihres Webfehlers (Pohrt) ermächtigt und ihn in das Happy End der Wiedervereinigung zweier deutscher Staaten zu einem großen hin triumphieren lässt. 2016 sollte es allerdings nicht das übliche Gedenkpotpourri aus einstürzenden Synagogen- und Stadtmauern sein, das den Zeigefinger des Studienrats nach oben schnellen lässt, sondern der Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen. Hatte man nicht in den sozialen Medien herrlich sarkastisch davor gewarnt, den starken Mann an der Spitze des Staates zu wählen? Wir wüssten schließlich, wo das endet – warum es aber hier und nur hier so endete: einerlei.
Der Begriff des Postfaktischen gewann in den vergangenen Monaten an Popularität, wenn es darum ging, den Erfolg populistischer Parteien, Personen oder Positionen zu erklären. Gemeint ist damit eine Tendenz in der Gesellschaft politischen Entscheidungen, die auf wissenschaftlichen Tatsachen oder der „normativen Kraft des Faktischen“ (Jellinek) aufbauen zu misstrauen und an die Stelle dieser Informationen das eigene Empfinden zu stellen. Newt Gingrich, möglicher zukünftiger US-Außenminister, traf dies auf den Punkt, als er in einem Interview den Statistiken einer sinkenden Kriminalitätsrate die gegenteilige Empfindung der Bevölkerung entgegenhielt (https://youtu.be/g4f5ewIYYuQ). Der Wahlgewinner wusste diese Postfaktizität zu bedienen, entlieh sich bei R. Reagan das Wahlkampfmotto „Make America great again“ und zeigte wenig Berührungsängste mit faschistisch konnotierten Positionen (etwa das Freund-Feind-Ticket gegenüber Mexikanern und Muslimen).
Dass die USA es den „what could possibly go wrong”-grüßenden Deutschen nicht gleichtun werden, dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Dass aber in den vier kommenden Jahren eher Kontinuitäten denn Brüche zu erwarten sind, lässt sich auf die Rolle der Bürokratie – genauer: der Administrative (in Abgrenzung zur Gubernative, der alternierenden Seite in der Exekutive) zurückführen. Max Weber charakterisiert diese als a) Berechenbar, also der Willkür entgegenstehend, b) unabhängig, also nicht durch die jeweilige Gubernative bestimmt, c) unpolitisch, also der tagespolitischen Wetterlage enthoben. Sie definiert die legal-rationale Herrschaft und unterscheidet sich damit etwa von der charismatischen Herrschaft wie sie etwa das Führerprinzip widerspiegelt. Diese Nachvollziehbarkeit kann in gewissem Maße aufgeweicht werden durch den höheren Anteil Politischer Beamter und dem daraus resultierenden Spoils system, also der Versetzung der bisherigen Beamten in den Ruhestand und der Neubesetzung dieser Stellen mit Gefolgsleuten. Allerdings entstammen auch die Nachfolger den Ivy-League-Universitäten, durchliefen die gleiche Ausbildung und wissen um die Beschränktheit politischer Entscheidungen und die Komplexität dieser Systeme. Die Willkür eines Immobilienmoguls zu fürchten bedeutet die liberale Tradition der amerikanischen Administrative zu unterschätzen.
Wer mit „What could possibly go wrong“ die USA kurz vorm Reichstagsbrand vermutet, der will nicht verstehen, was das spezifisch deutsche am Hitler-Faschismus war. Der ist gefangen in Vorstellungen, dass der White Trash im Rust Belt die Mahnung eines deutschen Green-Card-Akademikers bedarf. Vor allem verkennt er dabei aber, dass die Bewegung, die Hitler an die Macht brachte bei weitem nicht nur eine Bewegung der unzufriedenen Arbeitslosen war, keine Folge der Wirtschaftsdepression. Der Nationalsozialismus hatte eine breiten Rückhalt in der akademischen Elite. Heideggers Schmuddelbriefe an seinen Bruder zeigen das ebenso wie die Deutschtümelei in den Geistes- und Kulturwissenschaften dieser Zeit. Die Planung eines Weltkriegs und die systematische Ermordung von sechs Millionen Menschen ist kein Werk von arbeitslosen Malern & Lackieren – hierzu bedurfte es einer Akademia, die nach ihrer Arisierung quasi willfährig war.
Kein Zweifel: Ein ausnehmend ordinäres & großkotziges Mitglied der Oberschicht – versiert in allen Künsten des Rassismus und Sexismus ist der neue Präsident der Vereinigten Staaten. Sorgen um eine Faschisierung der USA sind jedoch ein allzu deutscher Reflex der Schuldabwehr und Relativierung. In den kommenden Jahren wird der US-Präsident zerrieben zwischen dem Inkrementalismus einer Ministerialbürokratie und dem Insistieren seiner Spin-Doktoren zumindest eines der wahnsinnigen Wahlversprechen umzusetzen. Dem aufgeklärten Strafbedürfnis dürfte damit genüge getan sein.
von Alf Philips