Solidarität und Imagepflege: Die Eingemeindung der Flüchtlingshilfe in die deutsche Ideologie

Allein im Jahr 2015 gab es über 500 Demonstrationen, Angriffe und Anschläge gegen Geflüchtete, ihre Unterkünfte oder die angeblich liberale Asylpolitik Deutschlands. Die Zahl ist erschreckend und lässt die Erinnerungen an die frühen neunziger Jahre wach werden, als AsylbewerberInnen und ehemalige VertragsarbeiterInnen der DDR auf eine deutsche Bevölkerung trafen, die einerseits vom nationalistischem Wiedervereinigungstaumel gesättigt und andererseits von Deutscher Angst im Zuge der Kapitalisierung der neuen Bundesländer überladen war.
So verwundert es auch nicht, dass Begriffe jener Zeit reaktiviert werden und Deutschlands oberster Pfarrer erneut von „Dunkeldeutschland“ spricht. Freilich hat auch Gauck gelernt und muss den alten Begriff, der einst die wirtschaftlich wie kulturell als rückständig angesehene Ex-DDR bezeichnete, von seinem räumlichen Gehalt lösen. Indem er zwar die Ausschreitungen in Heidenau als dunkeldeutsches Exempel begreift, gleichwohl aber den Kontrastbegriff „Helldeutschland“ aktiviert und ebenfalls ein Beispiel aus den neuen Bundesländern nennt, führt er zum einen Johannes Raus Diktum vom „versöhnen statt spalten“ aus. Zum anderen aber hat er damit das Programm der deutschen Flüchtlingspolitik umrissen, denn im Zeichen der Geflüchteten hat eine ’neue deutsche Nation‘ endlich die Möglichkeit, sich zur Heiligkeit zu läutern. Dadurch gibt Gauck an, wie sich deutsche Ideologie mit dem rasanten Anstieg der Geflüchtetenzahlen vereinen lässt, ganz so, als ob man in der Solidarität mit den AsylbewerberInnen von 2015 den Hass auf den AsylbewerberInnen von 1992 wett machen könne.
Endlich wieder Deutschland sein können
Anders als die sozialdemokratischen Versuche einer Andrea Nahles, mit den Geflüchteten die wirtschaftliche Reservearmee aufzustocken1 und dies als finanziellen Vorteil für den deutschen Staat zu verkaufen, trifft Gaucks Läuterungsangebot auf offene deutsche Ohren:
Der Chefredakteur des Sterns, Philipp Jessen, hat im Jahr 2005, kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Deutschland das „Manifest“ zur „Du bist Deutschland“ Kampagne geschrieben. Der Text strotzt vor negativer Identifikation des Individuums mit dem Volk, dass einem beim Lesen schlecht wird, und ganz zu recht wurde bereits 2005 mit Dammbruch-Argumenten gegen eine solche Kampagne agitiert. Das lässt Philipp Jessen aber auch heute, nachdem in Vorra, Schneeberg, Heidenau und Freital die Dammbruch-Argumente anscheinend bestätigt wurden, eher kalt. Zwar könne der Chefredakteur des Stern dieses Manifest nicht mehr schreiben, da die Nazis in Heidenau ihm seine Liebe zu Deutschland madig gemacht hätten. Er entgegnet den Nazis aber nicht nur selbst mit überkommenem, den faschistischen Geist konservierenden Vokabular, indem er Geflüchteten mehr Ehre zuspricht als den Nazis; Jessen beendet seinen Kommentar mit dem Wunsch, endlich „wieder Deutschland sein“zu können. Sigmar Gabriel, die Volksgemeinschaftshaubitze der SPD, hat die von Jessen gewünschte, geläuterte Identifikation mit Deutschland schon vollzogen und geht noch einen Schritt weiter: Er bezeichnet die Nazis in Heidenau als die „undeutschesten Typen“, die er sich vorstellen könne.
Schließlich erhebt die FAZ die Lösung der Flüchtlingspolitik zur deutschen Generalprobe als Hegemonialmacht. So unterstellt Jasper von Altenbockum, der verantwortliche Redeakteur für Innenpolitik, den europäischen Staaten, Deutschland als Vorbild anzusehen und legt ihnen folgende Frage in den Mund: „Wenn nicht einmal die Deutschen zurechtkommen, warum sollten dann wir? Solange die Deutschen darauf keine Antwort haben, wird es aus der EU heißen: Ihr schafft das, wir nicht.“ So klingt es in deutschen Köpfen, wenn die Solidarität mit den Geflüchteten schließlich zur Legitimation der deutschen Führungsrolle in der EU eingehegt wird und so klingt es im 21. Jahrhundert, wenn am deutschen Wesen die Welt noch einmal genesen soll.
Diese Läuterung heißt Drohung
Das Läuterungsangebot Gaucks bietet sowohl das Movens zur Solidarität mit den Geflüchteten, als auch den ideologischen Kitt für den Zusammenhalt der bürgerlichen Gruppen rechts und links der „Mitte“. So wird allerdings die Bedürfnissicherung der Hilfesuchenden als Zweck der Solidarität mit ihnen zum Mittel einer unbelasteten Identifikation des Deutschen mit Deutschland degradiert – die Geflüchteten sowie die Solidarität mit ihnen also in Deutschümmelei eingehegt.
Dabei ist Merkels Bob-der-Baumeistergleiches „Wir schaffen das!“ und „Wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden“ vom Sommerinterview 2015 nicht nur Ausdruck deutscher Großmacht sondern zugleich Drohung an alle Geflüchteten: Unter den Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise nahm die schnelle „Rückführung“ von Geflüchteten, die aus Sicht des deutschen Staates die falschen Fluchtmotive haben, eine prominente Rolle ein. Zudem wird gebetsmühlenartig auf die begrenzte Solidarität der deutschen Bevölkerung hingewiesen, die, sofern sich der europäische Umgang mit Geflüchteten nicht bald ändere, auch kippen könne. Diese Drohung an Geflüchtete ist nicht weniger als vorauseilender Gehorsam vor rechter Hetze, der damit vielleicht sogar ungewollt ein rationaler Kern zugesprochen wird – die Folgen eines Denkens, nach der sich die Solidarität nicht an den Bedürfnissen der Hilfesuchenden, sondern an den Befindlichkeiten der HelferInnen auszurichten habe. Die Saat scheint dennoch aufzugehen und Merkel wird international für die deutsche Flüchtlingspolitik gerühmt. Das deutsche Image in der Welt ist gerettet – den Geflüchteten sei Dank.
Solidarität mit Geflüchteten heißt auch Kritik an deutscher Ideologie
Wer sich aber mit den Geflüchteten um ihrer selbst Willen solidarisieren will und nicht, um deutsche Schuld und Scham abzuarbeiten oder gar Deutschland zu heller Heiligkeit zu läutern, der muss, wenn er den Geflüchteten Essenspakete und Decken reicht, zeitgleich radikale Kritik am deutschen Staat und deutscher Ideologie äußern. Dieser Widerspruch zu „helldeutschen“ Imagepflege heißt beispielsweise, jede Hoffnung auf ein besseres Leben und Teilhabe am globalen Wohlstand als legitimes Movens der Flucht anzuerkennen und die Trennung in saubere und dreckige AsylbewerberInnen vehement zurückzuweisen, statt dem vorauseilenden Gehorsam deutscher Politik vor zonalen und zonalisierten Pyromanen mit Willkommenskultur für vermeintlich richtige Asylbewerber und Abschreckung gegenüber „falschen“ Tür und Tor zu öffnen. Das heißt auch, für eine Verteilung von AsylbewerberInnen zu streiten, die sich an den Interessen der Geflüchteten statt an den nationalen Interessen europäischer Staaten ausrichtet. Alles andere untergräbt die Autonomie der Hilfesuchenden, führt zur Eingemeindung der Solidarität im nationalen Interesse und zur der Verdinglichung der Geflüchteten.

von Benjamin W.

 

Vgl. hierzu auch Gerhard Scheit in Jungle World 36/2015

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