„Der zu schwindelerregender Höhe aufgetürmte Wohlstand gleicht einem
Kartenhaus, das eine fatale Unvereinbarkeit heraufbeschwört: Zunehmende
Fallhöhe trifft auf zunehmende Instabilität. Je höher das Stockwerk, desto
tiefer der Fall, wenn alles zusammenstürzt.“1
Mit diesen apokalyptisch anmutenden Worten leitet Volkswirt und Attac-Mitglied Niko Paech sein postwachstumstheoretisches Werk, „Befreiung vom Überfluss“, ein. Darin predigt er ein Ideal vom „menschlichen Maß“, welches durch Konsumverzicht und Subsistenzwirtschaft gegen eine vermeintliche Katastrophe globalen Ausmaßes gewendet werden soll.
Paechs Theorie gilt der postwachstumstheoretischen Szene als Bibel des Gottes der „Décroissance“, dem gehuldigt wird, um die große Apokalypse aufzuhalten und in einem Zeitalter der „reduktiven Moderne“ (Niko Paech) der antizipierten Erlösung im Unmittelbarkeitsfetisch linker wie rechter Antimodernisten zu frönen. Sein vor moralischen Appellationen nur so strotzendes Werk wird als „überzeugender Entwurf“ gefeiert, der sich vom konventionellen „Mainstream“ abhebt und als praktischer Taschenbuch-Guide daherkommt, indem eine glückliche Utopie nachhaltigerer Wirtschaft propagiert wird. Mit Bezug zur Malthusianischen Bevölkerungsfalle wird folgender Status quo als Neuauflage eines düsteren Endzeitszenarios gezeichnet: Die natürlichen Ressourcen der Erde sind verbraucht, Umwelt und Natur sind zerstört, der Mensch hat sich in der globalisierten Moderne vollends von seiner Ersten Natur entfremdet, der Planet Erde sei von der Überbevölkerung durch Konsum-Zombies bedroht. Sein theoretisches Fundament hat dieser Ansatz im 1972 erschienenen Bericht des Club of Rome „Grenzen des Wachstums“, einem Strang des Linkskeynesianismus sowie der Freiwirtschaftslehre Silvio Gesells und klassischen Ökonomen wie Thomas Malthus oder John Stuart Mill.
Bisher war der aktivistische Höhepunkt der Degrowth-Bewegung die internationale Konferenz in Leipzig 2014, bei der über 3000 Personen, bestehend aus Akademikern, politischen Aktivisten und Vertretern von Unternehmen, teilnahmen. Die utopische Grundidee liegt in einer Orientierung auf gesellschaftliche Umstrukturierungen, die auf der Mikroebene der Gesellschaft umgesetzt werden sollen. Hierbei werden „alternative“ und „neue“ Prämissen von Warentransfer und Warenproduktion entwickelt, die sich an Anarchisten wie Proudhon oder Liberalen wie Mill orientieren und ein „Schrumpfen“ der Produktivkräfte herbeiführen sollen. Durch egalitäre Selbstverwaltung, gemeinsame Nachbarschaftsgärten und Reparaturstätten, sollen in der „Share-Economy“ die Grundzüge radikaler Transformationsprozesse gelegt werden. Weiter gehen derartige Konzepte von einer Reorganisierung des Äquivalenzmittels aus, die sich an Silvio Gesells Konzept des „Schwundgeldes“ orientieren und damit in hohem Maß anschlussfähig für strukturellen Antisemitismus sind.
Bereits Thomas Malthus hielt die Rückkehr von der kapitalistischen Produktionsweise zu einer subsistenzbasierten, vom Wachstum befreiten Gesellschaft und damit eine Wiederversöhnung mit der Ersten Natur, für unumgänglich. Malthus‘ Modell der Bevölkerungsfalle kann jedoch nur für feudalistische bzw. vorkapitalistische Gesellschaften Geltung beanspruchen, da sich der Mensch mit der Entfaltung der kapitalistischen Produktionskräfte und der damit verbundenen Herstellung industrieller Massenprodukte der von Malthus diagnostizierten natürlichen Schranken längst entledigen konnte. Diese apersonale Herrschaft des Kapitals zerstörte den stagnativen Charakter vorindustrieller und agrarischer Produktion und die damit einhergehende direkte Herrschaft von Menschen über Menschen in Form des traditionellen Patriarchats. Die Produktionsform des Kapitals entfesselte damit in der globalisierten Moderne ungeahnte Produktivkräfte, die mit Massenproduktion und medizinischen Fortschritt, aber auch der zwangsläufigen Dialektik von Armut und Reichtum, einhergingen. Hinter diesen Fortschritt eben nicht zurückzufallen, ist das Ziel jeder kommunistischen Kritik. Entgegen dieser Position lechzt das ohnmächtige, postmoderne Subjekt nach der Aufhebung des Vermittlungszwangs kapitalistischer Vergesellschaftung zugunsten eines „menschlichen Maßes“, was in der „Freiheit“ der Ersten Natur am strahlenden Himmel der Regression erscheint. Das Herbeisehnen der Apokalypse eint rechte und linke Antimodernisten, die sich in der Suche nach Unmittelbarkeit und Authentizität der Barbarei der Ersten Natur annähern.
Die panische Aufregung um die Kritik am massiven Einsatz von Technologie und modernen Automatisierungsprozessen industrieller Provenienz muss als Wahrnehmung einer verhassten Entfremdung des Menschen von seiner Ersten Natur betrachtet werden. Die durch Beherrschung der Ersten Natur Freiheit und Unfreiheit hervorbringende Zweite Natur wird damit als ein grundlegendes Übel hypostasiert, das es zu überwinden gilt. Hieran lässt sich auch Paechs pejorative Abschätzigkeit gegenüber Marxismus und Liberalismus gleichermaßen veranschaulichen, die er getreu seiner postmodernistischen Rancüne auf dem Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen weiß: „Die wundersame Mehrung des materiellen Wohlstandes wird gern als ‚Fortschritt‘ gefeiert. Letzter verweist auf die heldenhaften Leistungen der Spezies Mensch, die sich einst unter Vorgriff auf Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Urschleim gezogen hat, um sich fortwährend durch Fleiß, Erfindungsreichtum und überlegene Intelligenz eine perfekte Welt zu basteln.“2 Im Sinn der Paech’schen Postwachstumsökonomie soll der Mensch wieder der Ersten Natur untergeordnet werden und sich in vermeintlich „natürlicheren“ Lebenszusammenhängen reorganisieren. Wenn Paech also davon ausgeht, dass der „homo sapiens [sich] seither kaum verändert [hat, denn] [n]och sind es zwei Arme, zwei Beine und ein Kopf, über die ein Individuum verfügt“3, so wird hier deutlich, dass Paechs Theorie darauf hinausläuft, sich dem Zwang des traditionellen Patriarchats und der direkten Herrschaft von Menschen über Menschen wieder zu unterwerfen. Diese Kritik an Technik, Fortschritt und Naturbeherrschung wird von wohlsituierten Kleinbürgern, denen aktivistische Studentenkollektive und atomisierte Individuen sekundieren, getragen. Dies wird zudem national-protektionistisch gegen jede Form von Kosmopolitismus und Zivilisation gewendet. Idealistisch kann Paech vor allem mit der These aufwarten, dass zur wirksamen Entgegnung der Katastrophe ein grundsätzlicher Wertewandel angestrebt werden muss. Dieser Wandel sei nur durch die „Änderung des Bewusstseins“ zu erreichen.
Schon hier zeigt sich, dass diese Theorie lediglich zur kapitalistischen Krisenverwaltung geeignet ist, wusste doch schon Marx, dass „das Bestehende anders zu interpretieren, […] [heißt,] es vermittelst einer anderen Interpretation anzuerkennen“4sei. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Linke sich den Theoremen der Postwachstumsdiskussion anschließt und in blindem Aktionismus gegen die Globalisierung verfällt, will man von einer erkenntnistheoretischen Position, die den „Vorrang des Objekts“ (Theodor W. Adorno) anerkennt, doch eh nichts (mehr) wissen. Getreu dem Motto, wer von Emanzipation sprechen will, der solle sich von der Kritik am Waren-, Geld,- und Kapitalfetisch fernhalten, ordnet man lieber autoritäre Sprechverbote für soziale Gruppen oder Geschlechter an und zelebriert dies im postantifaschistischen Diskursdschungel auf der Tagesordnung des Plenums. Statt kritischer Gesellschaftsanalyse betreibt man postmoderne „Triple-Opression“-Analysen, Sprachfetischismus und Radikalkonstruktivismus, womit weder das Gesellschaftsverhältnis des Kapitals zu fassen ist, noch ein adäquater Begriff von Antisemitismus entwickelt werden kann. Weil die postmoderne Philosophie sich aus einer diffusen Mischung von Affirmation und Kritik speist, wird auch die Ineinssetzung von Position und Wahrheit den postbürgerlichen Subjekten feilgeboten. Darin äußern sich Krisenbewältigungsstrategie und Unmittelbarkeitsfetisch in der Sehnsucht sich durch peergroups und kleinbürgerlichen Gärtnerkommunen zu kollektivieren und der Zweiten Natur zu entledigen. Damit trifft es par excellence den Kern der Heideggerschen Wesenslehre vom Sein zum Tode im „natürlichen“ Naturverbund. Die Postwachstumsideologie ist damit nur ein Menetekel Deutscher Ideologie im 21. Jahrhundert.
Folgerichtig appelliert Paech auch immer wieder an das, was er nur im Stande ist als Einheit und Kollektiv und nicht als „freie Assoziation“ zu denken: die Menschheit. Wenn deutsche Akademiker von „natürlichen“ Lebenszusammenhängen reden, so zeigt sich einmal mehr deren organistisches Gesellschafts- und Staatsverständnis, wie es sich für Deutschnationale eben gehört. Mit Max Weber lässt sich ein solches Gesellschaftsverständnis als affektuelles Vergemeinschaftungsbedürfnis hypostasieren, welches dem westlich-kapitalistischen Prinzip von Vergesellschaftung und Kontraktualismus entgegensteht. Die Linke sekundiert hierbei, da sie keinen Begriff von Zivilisation und den damit verbundenen dialektischen Verwertungsprozessen des Kapitals hat und somit nicht (mehr) trennen kann zwischen einer Kritik des „automatischen Subjekts“ (Karl Marx) und der Zivilisation. Damit schüttet sie das Kind mit dem Bade aus und entscheidet sich für den Hass auf die Zivilisation und somit für ein verklärt-romantisiertes Naturverständnis vergemeinschafteter Antiindiviudalisten. Paechs moralisierende Haltung um der Rede von der „Subsistenz“ und der „Suffiziens“ bedient und drückt genau jenes Bedürfnis aus, sich im Unmittelbarkeitsfetisch und des Kampfs „aller gegen alle“ (Thomas Hobbes) neu zu vergemeinschaften und jeglichen bürgerlichen Fortschritt negativ aufzuheben.
Doch es ist nicht alleinig dies düstere Szenario, das jemanden wie Niko Paech und die Postwachstumsbewegten antreibt. Das Gerede von der unaufhaltsamen Apokalypse dient auch als Vehikel einer Elite, die unter der moralisierenden Haltung des „Jetzt müssen wir aber den Gürtel enger schnallen“ gegen jegliche Naturbeherrschung, gegen jegliche Emanzipation des Menschen von Natur wettert. Typisch positivistisch orientiert bietet er die folgende Lösung an: Mit der Reduktion des Wachstumszwangs ist eine gleichzeitige Reduktion von Spezialisierungsgraden erreichbar, die durch eine Umsetzung von kürzeren Wertschöpfungsketten erzielt werden soll. Damit kritisiert er die immer größer werdenden Transport- und Versorgungsketten der Moderne, die mit der „Verdichtung von Raum und Zeit“ einhergehen, die nur zu hohen Umweltschäden zu haben seien und daher zu verkürzen sind. In der Welt Paechs soll es daher keine transkontinentale Mobilität mehr geben; die Menschen sollen sich gefälligst auf ihren eigenen Schollen versorgen und bewegen. Auf Grundlage einer radikalen Grund-und Bodenreform will er den Rückbau industrieller Produktion und globaler Wertschöpfungsketten zur Förderung von regionaler Selbstversorgung umsetzen. Die Basis hierfür liefert das Modell einer Regionalökonomie, die sich vor allem auf Subsistenzwirtschaft und Konsumverzicht stützt. Was Paech hierbei außer Acht lässt, ist, dass seine Vorstellung von „Suffizienz“ nur Menschen möglich ist, die im Klassenverbund weit oben stehen, da sich kein Mensch der unteren Einkommensgruppen unter den gegebenen Verhältnissen eine derartige Umstellung auf einen „suffizienten“ und „nachhaltigen“ Konsum tatsächlich leisten könnte.
Diese moralisierende Absage von massenproduzierten Gütern bedingt zugleich soziale Distinktionsprozesse der Klassengesellschaft. Eine derartige Umstrukturierung des Konsumverhaltens im System des Kapitalismus, ist damit nur Wohlstands- und Mittelschichtseliten vorbehalten, die ihre Reproduktion auf einem deutlich höheren Niveau als der gemeine Proletarier gewährleisten können. Auch ist festzuhalten, dass die Wertakkumulation nicht dafür benutzt wird, den Menschen ausschließlich zum Konsum anzuregen, wie Paech es suggeriert, sondern die „Verwertung des Wertes“ (Karl Marx) dient überwiegend der Reinvestition in das kapitalistische Unternehmen. Jeder Betriebswirtschaftler versucht seinen Gewinn zu maximieren, indem er eben immer wieder neue Reinvestitionen tätigt, die sein Volumen am Markt erhöhen sollen. Deswegen bleibt es Paech auch schuldig zu erklären, warum Prekarisierte unter Überfluss leiden würden. Auch Hunger und Armut in der Welt können nicht durch einen Rückgang von Produktion bekämpft werden, sondern eine solche Vorgehensweise würde auch dieses Problem signifikant verschärfen. Wer die Geschichte der Vormoderne kennt, kennt auch die zahlreichen Hungersnöte, die beispielsweise von Pest und Naturkatastrophen ausgelöst worden sind. Die Problematik besteht doch viel eher darin, dass Menschen der Dritten Welt nicht auf dem selben Niveau wie in den Industrieländern vergesellschaftet werden. Die Entwicklung und das Auseinanderdriften von Armut und Reichtum ist dem Kapitalismus inhärent und kann durch Umverteilung nur kosmetisch behoben werden. Dabei wird verkannt, dass nicht Globalisierung per se das Problem ist. Es sind viel eher die von Postwachstumsbewegten ausgeblendeten strukturbedingten Herrschaftsverhältnisse und Produktionsgefälle. Die beispielsweise in Form der Proteste an den Freihandelsabkommen von TTIP und CETA hervorgebrachte Kritik am Kapitalismus muss somit spätestens dann als regressiv verstanden werden, als dass sie sich unter einem national-protektionistischen Impetus gegen jede Form von Globalisierung wendet.
Kaum der Rede wert, dass diese Proteste mit Antiamerikanismus, Antisemitismus und Querfront-Politik einher gehen. Weite Teile der politischen Linken, wie z.B. das globalisierungskritische Netzwerk um „ATTAC“, aber auch unorthodoxe Kulturpessimisten sowie die politische Rechte, haben das Thema für sich entdeckt. Unter den krisenhaften Verwerfungen, die die kapitalistische Gesellschaft mit sich bringt, verbinden sich damit auch scheinbar politische Gegner in Querfront-Gruppen, was paradigmatisch an der „Occupy-Bewegung“ oder dem verschwörungstheoretischen Magazin um „Compact“ zu erkennen ist. Bei dem dazugehörigen Kanal „KenFM“ legte Niko Paech in einem fast vierstündigen Interview mit Ken Jebsen seine Theorie ausführlich dar, womit exemplarisch die Schnittmenge der Querfrontler veranschaulicht werden kann.5
Eine der Hauptgemeinsamkeiten besteht im antikapitalistischen Antisemitismus und damit in der Suche nach Subjekten, die für ökonomische Krisen verantwortlich gemacht werden. Ganz in antisemitischer Tradition soll die permanente Logik des Zinses abgeschafft werden, da somit die Anonymität der Produzenten und Konsumenten ausgehebelt werden würde. Kapitalismus wird hierbei nicht im Sinne einer „Herrschaft der Sachzwänge“ (Karl Marx) begriffen, sondern im Sinne von herrschenden Akteuren, die Ideologien verwenden, um Menschen zu unterdrücken. Pars pro toto steht die Paech’sche Theorie damit für den immanent angelegten strukturellen Antisemitismus der Postwachstumsökonomie. Die verdinglichte Herrschaft erscheint aber als ein System apersonaler Herrschaft, bei dem keine bewusste Manipulation vorliegt, die Menschen lediglich als funktionelle Charaktermasken der Verwertung des Werts folgen; der Fetischismus damit als eine funktionalistische Bewusstseinsform der kapitalistischen Gesellschaft selbst entspringt. Wie Moishe Postone in „Nationalsozialismus und Antisemitismus“ aufzeigte, gestaltete sich der Antikapitalismus der Nationalsozialisten durch die Trennung einer „gesunden“ und „schaffenden“ Produktionssphäre und der einer „raffenden“ und „parasitären“ Zirkulationssphäre, da beide nicht als einheitlich notwendig Inhärentes der Wertakkumulation begriffen wurden. Die den Juden zugeschriebene Macht resultierte somit aus diesem Antikapitalismus und identifizierte sie als fundamentalen Träger der abstrakten Seite der Wertvermittlung (Zirkulationssphäre), der für ökonomische Krisen verantwortlich gemacht worden ist. Im fetischistischen Antikapitalismus wurden damit Begriffe wie Blut, Maschine und Produktion als konkrete Gegenprinzipien der abstrakten Ebene der Werteverwertung gesetzt, bei der die Vorstellung zugrunde lag, das Konkrete sei „gesund“ und „natürlich“ und damit „gesellschaftsstiftend“ statt „zersetzend“. Die Juden gehörten nach der Phase ihrer Emanzipation im 19. Jahrhundert zwar abstrakt zur Nation der Deutschen, Franzosen, Russen usw.; niemals waren sie aber konkreter Bestandteil einer Nation und erschienen damit als „entwurzelter Träger des Finanzkapitals“ (Moishe Postone) der Zirkulationssphäre des Kapitalismus.6
Paech sitzt damit der Idee auf, dass nicht der Kapitalismus mit seinen systemimmanenten Krisendynamiken ein Problem darstellt, sondern lediglich eine ungerechte Verteilung das Problem sei, die unter der Abschaffung des Zinses aufgehoben werden könne. Als theoretisches Grundmodell von regionaler Währung gilt Paech die Zinskritik und das Modell des „Schwundgeldes“ nach Silvio Gesell, der in seinem Werk „Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“ den Aufbau einer Regionalökonomie entworfen hat.7 Zwar bezieht sich Paech in „Befreiung vom Überfluss“ nicht mehr direkt auf Gesell, wohl wissend, dass Gesells Modell des „Schwundgeldes“ anschlussfähig für Antisemitismus ist, aber Paechs Ausführungen lassen sich eben schwerlich als etwas anderes auffassen. Gesell identifizierte das Problem kapitalistischer Vergesellschaftung und der ihr enthaltenen Krisen in der „Zirkulationssphäre“, d.h. dem Zins und stellte diesem eine „gesunde“ Produktionssphäre entgegen. Mit dem anarchistischen Theoretiker Pierre Proudhon hängt er auch der Vorstellung an, dass die Zinssphäre durch die Vergabe zinsloser Darlehen abgeschafft werden könne. Die Idee hierbei ist, der „Spekulation“ zu entgehen, indem verhindert wird, dass monetäres Geld „gehortet“ wird. Die Vorstellung ist, dass die abstrakte Wertvermittlung des Geldes der Möglichkeit unterliegt an Wert zu wachsen, während alles andere in der „natürlichen“ Ordnung verfällt. Indem Paech den Zins und fiskalische Verschuldungspolitik als den Wachstumsmotor und das umfassende Übel auszumachen sucht, d.h. den „zinsbedingten Zwang zum Überschuss“, verdammt er das „Fremdkapital“ als Übel schlechthin. Er entgegnet diesem Fremdkapital ganz im Gesell’schen Sinne mit „Regios“, als Form neuer Lokalwährung. Die konkrete und die abstrakte Seite der Werteakkumulation werden somit nicht als notwendig sich bedingende Seiten aufgefasst, sondern die konkrete Seite wird der vermeintlich schädlichen abstrakten Ebene entgegengestellt, die unter einem „menschlichen Maß“ reorganisiert werden soll.
Aus dieser Reduktion des Wertbegriffs ergibt sich, dass Wachstum, Zirkulationssphäre und technischer Fortschritt mit dem „Wachstumsparadigma“ schlechthin in eins gestellt werden. Damit wird die Aufspaltung des Doppelcharakters der Ware erreicht, die dann mit der Gesell’schen Theorie des „Schwundgeldes“ lediglich im produktiven Bereich angesiedelt werden soll. Der Gebrauchswert der Ware wird dann als das Positive, der Tauschwert als das Negative betrachtet. Wenn Paech davon spricht, dass das „gegenwärtige Verschuldungssyndrom […] ein Gradmesser für Gier“8 sei, lässt er sich bereits zu einer Personifizierung gesellschaftlicher Verhältnisse hinreißen. Mit dieser Zuschreibung und Verdinglichung komplexer wirtschaftlicher Prozesse auf eine menschliche Eigenschaft und der Zuschreibung auf die durch den Kapitalismus hervorgebrachten „Charaktermasken“ (Karl Marx), ist es nur noch ein recht kurzer Gedankengang zur antisemitischen „Ticket-Mentalität“ (Horkheimer/Adorno ) und der Bezeichnung von Managern als Heuschrecken. Mit Marx betreibt Paech damit „Geldpfuscherei“, die nicht das gesamte ökonomische System in die Analyse nimmt, sondern Oberflächenphänomenen und falschen Prämissen unterliegt. Derartige „Wachstumskritik“ ist damit nicht nur ein Instrument linker Revolutionsromantik, die in der Tradition der deutschen Barbarei den Zins aus der Welt schaffen möchte, sondern auch rechter, die die Angst vor Migration schürt und in Kollektivismus wie Marktprotektionismus gleichermaßen mündet. Die theoretischen Prämissen hofieren damit die Querfront von gestern, heute und morgen. Der einzige Verdienst der Postwachstumsdiskussion ist eine versuchte Erkenntnis von Naturzerstörung. Wer dies aber nicht dem Objekt des Kapitals und dem ihm inhärenten Fetischismus bürgerlicher Vergesellschaftung anlasten möchte, sondern durch eine akute Krisenbewältigungsstrategie oder einem Zurück-zur-Natur bewerkstelligen möchte, sollte sich in keinster Weise ein so abgedroschen wie fahles Label des „Emanzipatorischen“ aufkleben. Will die Linke sich und die Gesellschaft einmal vom Zwang der zur Totalität geronnenen Zweiten Natur befreien, so bleibt die fundamentale Kritik am Kapital unumgänglich.
Statt also auch die Nutzung der entfalteten Produktivkräfte zu fordern, um sich Krankheit und Hunger zu entledigen, sucht die postwachstumstheoretische Linke ihr Heil in romantisierten Vorstellungen und Utopien eines idyllischen Dorfs im Einklang mit Verzichtsaskese und Kollektivismus. Was Naturbeherrschung des Menschen angeht, formulierte Marx einst: „Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adaequatesten Bedingungen vollziehn.“9 Zwar krankt die Naturbeherrschung unter der „Dialektik der Aufklärung“, dennoch ist der erreichte gesellschaftliche Fortschritt zu verteidigen und dies eben auch unter der Ausnutzung der Produktivkräfte. Im Sinne der Kritischen Theorie gilt es die Erste Natur der Zweiten einzugedenken um beide zu versöhnen, d.h. die Erste Natur ist weder instrumentell zu beherrschen, noch ist ein zu ihr zurück zu fordern. Eine solche Versöhnung wartet aber nicht um die Ecke und ist erst recht nicht anhand eines „geschlossenen Theorieentwurfs“ (Niko Paech) zu erreichen. Ein derartiger Zustand ist damit schon gar nicht durch eine fertige Utopie abzubilden, sondern nur durch die radikale Umwälzung einer „Antiklasse“ (Stephan Grigat) mündiger Individuen zu gestalten, die stets im Negativen verharren und sich damit auch dem Bilderverbot Kritischer Theorie bewusst sind. Hierfür braucht es kritische Gesellschaftsanalyse, die sich der zur Totalität geronnenen Zweiten Natur bewusst ist und die kapitalistische Vergesellschaftung in den Fokus rückt, aber nicht hinter diese zurückfallen möchte. Stephan Grigat bringt dies wie folgt auf den Punkt: „Kommunismus in diesem Sinne hat weder mit dem traditionellen Marxismus noch mit alternativen Verzichtsideologien etwas zu tun. Der materialistischen Kritik geht es weder um eine gleichmäßige Verteilung des Elends, noch um Konsumverzicht. Kommunistische Kritik will nicht vorbürgerliche Verhältnisse herstellen, weder was die Produktivität betrifft (bei aller notwendigen Kritik an einer unter dem Kapitalverhältnis entwickelten Technik), noch was die begonnene Emanzipation des Individuums aus den Fesseln archaischer Gemeinschaften angeht. Kommunistische Kritik kreidet dem Kapitalismus nicht an, daß er beispielsweise Luxus-und Genußgüter hervorgebracht hat, sondern, daß solche Dinge, obwohl das nicht notwendig wäre, den meisten Menschen vorenthalten werden; nicht durch den bösen Willen irgendwelcher Einzelner oder dem bewußten Handeln einer Klasse (auch, wenn das dabei eine Rolle spielt), sondern durch die Logik eines Systems, das sich nicht an den Bedürfnissen von Menschen, sondern an der Verwertbarkeit des Kapitals orientiert.“10
von Motya Goines
1 Siehe Paech, Niko: Befreiung vom Überfluss, München 2013, S. 8.