Ihr wollt Fußball so wie früher? Kritik der politischen Ökonomie und traditionalistischer Affirmation des postmodernen Fußballs

Eine vitale Diskussion entwickelte sich in den vergangenen Jahren, zumal durch den Aufstieg des RB Leipzig, über die Kommerzialisierung des Fußballsports, vermeintliche Heuschrecken, verkürzte Kapitalismuskritik, Plastikmannschaften, echte Fans und nicht zuletzt die Frage, ob die Anhängerschaft eines Vereins denn nun „Links“ oder „Rechts“ wäre.

Emanzipierte Fußballfans, insbesondere Assoziierte der Ultra-Bewegung treten bei Mitgliederversammlungen selbstbewusst als politische Akteure auf und initiieren gesellschaftliche Projekte abseits des Stadions. Ein Beispiel hierfür ist die Vergegenwärtigung der jüdischen Wurzeln des FC Bayern München und insbesondere die ‚Wiederentdeckung‘ des ersten Bayern-Präsidenten und Naziopfers Kurt Landauer durch die Ultragruppierung ‚Schickeria München‘. Das seither jährlich stattfindende antirassistische Kurt-Landauer-Turnier der Schickeria entspringt eben jenem Denken, sich nicht nur samstags zwischen 15:30 Uhr und 17.15 Uhr mit seinem Verein zu identifizieren. Doch diese Identifikation wird auf eine harte Probe gestellt, wenn sich Ultras mit der kulturindustriellen Warenform des Profifußballs – in Form der Eventisierung des Stadionbesuchs etwa – konfrontiert sehen.

Objekt regressiver Kritik des postmodernen Fußballs: RB Leipzig
Objekt regressiver Kritik des postmodernen Fußballs: RB Leipzig

Die Moderne als Feindbild

Die Losung hinter der sich der Widerstand von Ultraseite formiert, lautet „Gegen den modernen Fußball“. Der „moderne Fußball“ firmiert dabei als Sammelbegriff für eine Fülle an Entwicklungen im Profifußball, die den Fans gegen den Strich gehen – angefangen beim Umbau der Stadien in ‚Sitzplatzarenen‘ über Stadionverbote und überhöhte Spielergehälter bis hin zu ‚Retortenmannschaften‘ von Brauseherstellern. 11Freunde – das selbsternannte ‚Magazin für Fußballkultur‘ tut sich im RB Leipzig-Bashing ebenso hervor wie die Fans von Erzgebirge Aue, die im Heimspiel gegen Leipzig Anfang Februar 2015 das markige Transparent „Ein Österreicher ruft und ihr folgt blind [-] Wo das endet weiß jedes Kind [-] Ihr wär[e]t gute Nazis gewesen“ zeigten. Diesem Gemenge aus Skandalisierung zu Gunsten der Auflage und pathischer Projektion stehen vereinzelt Fußballblogs wie Lizas Welt und vor allem die Werder-Anhänger von Vert&Blanc entgegen. Letztere kann man in Bezug auf die Diskussion um ‚den modernen Fußball‘ auch nur zitieren, wenn sie die offensichtliche Affirmation eines vormodernen Zustands wie folgt beschreiben:

Die Kulturpessimisten brechen in ihrer Ratlosigkeit verzweifelt die Abstraktheit der modernen, kapitalistischen Gesellschaft auf konkrete Stellvertreter herunter, um ihr Leiden daran zu artikulieren und ihrer ohnmächtigen Wut und ihrem Haß ein zwar falsches, aber konkretes und wehrloses Ziel zu geben’ [Haury 1992: 125ff.]. In einer Art Immunreaktion führen sie gegen die als „moderner Fußball“ denunzierte Professionalisierung des Sports eine reaktionäre Utopie ins Feld, die mit Ursprünglichkeit, Echt- und Reinheit assoziiert wird. (Vert&Blanc 2014)

Abseits dieser richtigen Analyse falscher Abstraktionen haben die unter „moderner Fußball“ subsumierten Veränderungen im Profifußball der vergangenen zwanzig Jahre – wenn auch im Duktus des Ressentiments – ihre empirische Wahrheit und es stellt sich die Frage wie man diesen (zumal als Ultra) begegnen kann. Maßgeblich hierfür, und das soll zugleich Leitgedanke unseres Beitrags sein, ist es, den Fußball als eine Dimension gesellschaftlicher Totalität zu verstehen. Dazu gehört die Einsicht, dass vieles von dem, was unter „modernem Fußball“ verstanden wird, treffender mit dem Attribut postmodern zu beschreiben ist.

Grundlage dafür ist das Verständnis der Postmoderne als kultureller und ideologischer Reflex auf den Postfordismus respektive ‚Spätkapitalismus‘ (Jameson 1991). Die für den Profifußball relevanten Aspekte des Postfordismus, die wir dabei nachfolgend fokussieren wollen, sind erstens die Veränderung des Verhältnisses von Wirtschaft und Staat, wie es unter dem Topos Neoliberalismus verhandelt wird und daran anschließend die (verstärkte) Inklusion des kulturellen Ereignisses Fußball in kapitalistische Verwertungszusammenhänge.

Die Politische Ökonomie des Fußballs

Die zunehmende Marktförmigkeit des kulturellen Felds ist der Grund dafür, dass Investoren den Fußball immer mehr für sich entdeckten. In der historischen Entwicklung lassen sich dabei drei Investitionsstrategien ausmachen, die heute nebeneinander existieren.

Lange bevor der Fußball sich professionalisierte, existiere er als Amateursport – getragen von der englischen Arbeiterschicht. Die Beliebtheit des Sports nahm mit der Stärkung der Arbeitnehmerrechte zu – so gewann Fußball durch Lohnsteigerungen, die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit und der Einführung freier Samstagnachmittage an Popularität. (Kohlhaas 2009: 31) Es waren dabei interessanterweise die Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich mit dem emanzipativen Ziel von den Zuschauereinnahmen ihren Anteil abhaben zu wollen und dadurch der schweren Arbeit in der Fabrik oder dem Bergbau zu entfliehen, für eine stärkere Professionalisierung des Fußballs einsetzten.

Im Unterschied dazu war es in Deutschland vor allem die bürgerliche Schicht, welche den Fußball nach Deutschland brachte. Der Grund war die Prominenz des Turnsports in der Tradition des Antisemiten Friedrich Ludwig Jahns. Da Jüdinnen und Juden der Beitritt zu Turnvereinen versagt wurde, übte der von deutschnationalen geschmähte Fußball einen großen Reiz auf sie aus, was sich unter anderem auch in der Gründungshistorie des erfolgreichsten deutschen Vereins widerspiegelt.

Mit der Einführung so genannter Werksmannschaften ab 1877 hielt die erste Clubformation abseits der für Vereine üblichen Selbstorganisation der Sportler Einzug in den Fußball. Die Ursprünge dieser Innovation sind indes divers: “Einerseits gab es von der Geschäftsleitung gegründete Mannschaften, andererseits, die von der Arbeiterschaft gegründeten. Zudem bildete sich eine Mischvariante heraus, in der die Gründung von unten ausging, um schließlich von oben gelenkt und kontrolliert zu werden.” (Kohlhaas 2009: 38) In gleichem Maße variierte auch die Motivation zur Teamgründung: Vom Aushängeschild für den Konzern über die Firmenbindung jenseits der entfremdeten Arbeit bis zur Förderung der körperlichen Ertüchtigung von Arbeitnehmern gab es einige Beweggründe für den Arbeitgeber ein Werksteam zu betreiben bzw. zuzulassen. Champions League Teilnehmer wie Manchester United, Arsenal London, Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg, Zenit Sankt Petersburg und Schachtar Donezk wurden als Werksmannschaften gegründet und sind es teilweise noch heute.

Die Querfinanzierung der Sportabteilungen blieb für lange Zeit die einzige Form der externen Investition – abgesehen von immer stärker werdenden Sponsoren, die sich aber zumeist mit Seitenbanden und Trikots als lukrativen Werbeflächen zufriedengaben. In einigen Fällen kam es allerdings auch in der Bundesliga dazu, dass Vereine sich auf die (inzwischen untersagte) Praxis des Namenssponsorings einließen und sich fortan gegen gutes Geld Chio Waldhof, Gummi Mayer Landau oder LR Ahlen nannten.

So lässt sich im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine schleichende Zunahme externer Steuerung von Vereinen feststellen. Eine erste Investitionsstrategie stellt das Mäzenentum im Profifußball dar. Bereits in den 1970er Jahren war der Modedesigner Daniel Hechter Präsident von Paris Saint-Germain und versorgte den Verein mit Millionen. Analog verhält es sich mit dem Engagement von Silvio Berlusconi (bzw. seiner Fininvest) beim AC Mailand oder Angelo Moratti beim Lokalrivalen Inter Mailand, was Ende der 1980er Jahre etwa an der Verpflichtung der späteren Weltmeister Matthäus, Brehme und Klinsmann zeigte. Der Begriff Mäzenentum soll hier verdeutlichen, dass die investierenden Privatpersonen nicht am finanziellen Output des Spielbetriebs interessiert waren, sondern rein am sportlichen. Die Mannschaften waren für diese reichen Einzelpersonen ein teures Hobby am ehesten zu vergleichen mit den Araberhengsten im Gestüt oder einer Oldtimersammlung. Darüber hinaus wollte man dem Verein, der Stadt oder der Region etwas Gutes tun und sich vielleicht noch mit der Tradition des Vereins schmücken.

Der Profifußball im Postfordismus

Das westliche Wirtschaftssystem geriet in den 1970er Jahren in der Krise. Die Wirtschaftsleistung stagnierte – gleichzeitig blieb die Inflationsrate durch den Anstieg der Ölpreise jedoch auf gleichbleibend hohem Niveau. Die Vergabe der Wirtschaftsnobelpreise an Hayek (1974) und Friedman (1976) sowie die Amtsantritte von Thatcher (1979) und Reagan (1981) zeigte den Weg aus der Krise auf, den Neoliberalismus (Gensing & Reisin 2013: 98). Der daraus resultierende policy-shift hatte zum Ziel, „einen ökonomischen und sozialen Umstrukturierungsprozess unter den Prämissen der Marktförmigkeit“ (Jessop 2007: 44) herbeizuführen. Dieser Strukturwandel lässt sich auch in der Bundesliga nachzeichnen – etwa anhand des Widerstands des DFB gegen die Trikotwerbung bei Bundesligavereinen. So musste Eintracht Braunschweig 1973 mit dem Jägermeister-Logo die bürokratische Finesse unternehmen, das Hirschgeweih zum Vereinslogo zu erklären, um damit auflaufen zu dürfen. Erst Ende der 1970er schafften es die Werbelogos nach und nach auf die Brüste der Bundesligaprofis. Bereits zuvor waren Fußballvereine allerdings auf mehr als die reine Kostendeckung des Spielbetriebs aus. Auch wenn die Beträge heute lächerlich erscheinen, wurden den Spielern Gehälter ausgezahlt – und auch wenn diese keine Profis waren, war das Angebot eines höheren Nebenverdienstes bei Vereinswechsel eine lukrative Angelegenheit.

Diese Marktförmigkeit kultureller Praktiken ist für Fred Jameson ein distinktives Moment der Postmoderne: „Es deutet alles darauf hin, daß das, was wir Postmoderne nennen, nicht abzutrennen und nicht denkbar ist ohne die grundsätzliche Annahme eines fundamentalen Wandels der Kultur in der Welt des Spätkapitalismus, d.h. einer folgenschweren Veränderung ihrer gesellschaftlichen Funktionsbestimmung.“ (Jameson 1989: 93)

Mit der Einführung der Premier League als Marke zum Ende der 1980er Jahre lässt sich ein Strukturwandel im professionellen Fußballbetrieb feststellen. Zu diesem Zeitpunkt war die 1. Englische Liga (wie im Rest Europas auch) direkt der FA unterstellt, da kein Ligaverband existierte. Die FA hatte zu dieser Zeit allerdings selbst mit ihren verkrusteten Strukturen zu kämpfen und außerdem machten dem englischen Fußball die Katastrophen im Heyselstadion und im Hillsborough Stadium zu schaffen. Als Konsequenz verloren die englischen Stadien ihre Stehplätze, was für die FA zum Stimulus zur Professionalisierung wurde. Zehn Jahre vor der DFL entstand somit in England die Premier League und damit wohl die erfolgreichste Marketingmaschinerie im Sportsbusiness weltweit.

Das Outsourcing als klassisches Prinzip des Postfordismus ermöglichte es den Profiligen unter anderem ihre TV-Einnahmen exponentiell zu erhöhen. Komplexe marktwirtschaftliche Systeme erlangten in Folge einen größeren Einfluss auf den Profifußball und lösten das Mäzenatentum als erfolgreichste finanzielle Einflussnahme auf den sportlichen Erfolg ab.
Dabei soll keinesfalls behauptet werden, dass der Clubfußball gegenüber Einzelpersonen mit großem Geldbeutel autark wäre. Vielmehr entstanden Hybride beider Formen der Finanzierung. Die Zeiten in denen ein mächtiger Geldgeber darüber entschied, wann ein Trainer zu feuern oder ein brasilianisches Talent zu holen wäre, sind allerdings vorbei. Vielmehr sichern sich Investoren auch innerhalb der Strukturen des Vereins ihren Einfluss. Bestes Beispiel ist die Funktion des “Super-Managers” bei Paris-Saint Germain, die dem Ex-Profi Leonardo 2011 von der Investmentgruppe Quatar Sports Investments übertragen wurde.

Der Schritt von Fußballvereinen in breitere marktwirtschaftliche Zusammenhänge führt im Gegenzug zu einer Integration des Sports in die Bilanzen der Investoren. Hier lässt sich eine zunehmende Vernetzung konventioneller Wirtschaftsunternehmen mit dem – in diesem Ausmaß neuen – ökonomischen Feld des Profifußballs erkennen. Sie definiert nach unserer Beobachtung zugleich den aktuellen Nexus zwischen Kapital und Fußball. Nach dem Liebesobjekt des Mäzenatentums und dem Kapitalobjekt der Sponsoren geraten Fußballvereine nun zum Marketingobjekt von Konzernen in die sie zunehmend integriert sind. Der Club ist nun Teil des Brandings und tragen zur Sichtbarkeit und somit zum Erfolg einer Marke bei: „Frühere Untersuchungen des kulturellen Raums, der kulturellen Funktion oder der Sphäre der Kultur […] haben auf dem bestanden, was sonst die ‚relative Autonomie‘ des kulturellen Bereichs heißt“ (Jameson 1989, S.93). Diese von Jameson angedeuteten Entdifferenzierungstendenzen in der Gesellschaft finden sich auch bei Naomi Klein, allerdings mit dem Schwerpunkt kulturindustrieller Produktionsprozesse – etwa dem ,Branding’ als Ansatz aus kulturellen Zeichen Profit zu schlagen.

Im Spitzenfußball ist „der Verein als Marke“ wohl das sinnfälligste Beispiel für die Verwertbarkeit kultureller Zeichen. Wer dabei an das Goldene Trikot des FC Bayern aus den 00er Jahren denkt, liegt vollkommen richtig. Die wenigsten denken dabei jedoch an den FC St. Pauli, dabei hat das Totenkopf-Logo – vor allem in sich als alternativ verstehenden Szenen – eine dermaßen ubiquitäre Präsenz, dass Ulli Hoeneß in den kalten Nächten von Landsberg wohl davon träumte. Die Vermarktung des FC St. Pauli funktioniert dabei nicht trotz, sondern wegen des Images des Vereins als alternativ, unangepasst und antifaschistisch. Diese Erkenntnis schmälert die Anerkennung von Fanprojekten und der Arbeit von Ultras auf St. Pauli, v.a. in den 80er Jahren, nicht im Geringsten, zeigt jedoch, dass vermeintlich widerständige Fankulturen im Mikrokosmos Fußball das bedeuten, was für die Arbeitsorganisation im Postfordismus das Diversity Management ist: Inklusion zum Zwecke der Profitmaximierung.

Fußball als Kapitalobjekt denkt Branding konsequent zu Ende. In diesem Falle geht es nicht mehr um den „Verein als Marke“, sondern vielmehr um den „Verein als Repräsentanten der Marke“. Ein Bundesligaheimspiel gegen den FC Bayern München in einem WM-Stadion wiegt dabei so manches AirRace auf.

Farmteams als Herausforderung an den Wettbewerb

Die wahrscheinlich gefährlichste Entwicklung der postfordistischen Organisationsweise des Profifußballs stellen Farmteams dar. Es handelt sich dabei um Teams, die in finanzieller Abhängigkeit großer Fußballclubs stehen und als Gegenleistung junge Talente an den Profifußball heranführen, bis sie der Geldgeber in seinen Kader integrieren kann. Gerade die häufigen Wechsel zwischen Clubs, die demselben Konzern angehören, bestätigen eine gewisse Skepsis. Generell gibt es hierfür allerdings keine Belege, daher kann etwa nur von dem Verdacht gesprochen werden, dass Vitesse Arnheim seit ihrer Übernahme durch die ST Group, deren Geschäftsführer Alexander Tschigirinski ein enger Vertrauter Abramowitschs ist, ein Farmteam für den FC Chelsea sein soll. Fakt ist allerdings, dass seit der Übernahme laut transfermarkt.de 19 Chelsea-Talente auf Leihbasis nach Arnheim gingen. Bei Chelsea lässt sich dabei das neue Geschäftsmodell erkennen, Talente früher und somit günstiger zu kaufen und nach einer Wertsteigerung durch Spielpraxis bei Leihvereinen gewinnbringend zu verkaufen.

Einen etwas anderen Weg geht die City Holding Group mit ihrem „Stammverein“ Manchester City. Diese hält weitere Teams auf verschiedenen Kontinenten, namentlich New York City und Melbourne City. Die Teams erfüllen dabei allerdings nicht nur die Funktion von Farmteams, sondern sind auch für das globale Marketing der Holding lukrativ: Man möchte das Kernprodukt der City Football Group, den Manchester City FC global bekannter machen.

Ein drittes Beispiel ist der FC Liefering, der sich seit dem 28.06.2012 im Firmenverbund von Red Bull befindet. Wie in Deutschland dürfen Zweitvertretungen von Bundesligavereinen in Österreich nicht in die 2. Liga aufsteigen. Da der 2. Mannschaft von RB Salzburg dieser Weg versperrt wurde, wich Red Bull auf einen anderen Verein aus und beliefert Rasenball Leipzig seither aus einem anderen Salzburger Stadtteil mit Spielermaterial.

Letztgenanntes Beispiel liefert auch den eindrücklichsten Beweis für eine Wettbewerbsverzerrung, da Red Bull Salzburg die einzige Mannschaft Österreichs ist die ihre Nachwuchsspieler kontrolliert auf Zweitliganiveau ausbilden kann. Doch auch abgesehen davon zeigt sich, dass Farmteams a) durch die Kolonisation von Vereinen die Ungleichheit zwischen Fußballligen verstärken und den Zentrum-Peripherie-Gegensatz im Weltfußball weiter verstärken. Darüber hinaus können sie b) zu einer Wettbewerbsverzerrung führen, wenn beide Mannschaften im selben Wettbewerb antreten und c) sind die Strukturen so lose, dass die Maßgaben des Financial Fairplay diesen nichts anhaben können.

Dies sind substantielle Fragen an den Fußball der Gegenwart. Es bedarf einer Reglementierung um Wettbewerbsverzerrung und Kolonisation entgegenzuwirken. Analog zur konventionellen Wirtschaftspolitik eines Nationalstaats sollte dabei allerdings immer gegenwärtig sein, dass es die primäre Funktion einer solchen Regelung ist, den Wettbewerb aufrechtzuerhalten und nicht eine Gleichheit herzustellen.

Dass solche Entwicklungen die Aversionen gegen den postmodernen Fußball stärken, liegt auf der Hand. Sinnvoll ist eine Auseinandersetzung damit allerdings nur, wenn man diesen systemisch erfasst und sich nicht in die Verblendungszusammenhänge einer Argumentation mit Tradition und Echtheit begibt.

Regressive Kritik und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Den Nimbus der Echtheit nimmt etwa das Fußballmagazin 11Freunde für sich in Anspruch. Zu gerne wird bei dieser zwischen lebensunwerten Plastikvereinen und der quasireligiösen „wahren Liebe“ unterschieden. Man stilisiert sich gerne als Nerdtruppe, die problemlos die Fehlpassquote der 2. Rumänischen Liga referieren kann um das vielleicht wichtigste Gut des aktuellen Medienbetriebs für sich reklamieren zu können: Authentizität. Diese Authentizität fungiert in der 11Freunde Welt als Trenngröße entlang der man sich einordnen kann: Auf der einen Seite Eigentlichkeit, Traditionsvereine, echte Gefühle, in Treue verbundene Fans und aufgeplatzte Bockwürste, auf der anderen Seite „Der RB Leipzig Bluff“, Kommerz, Erfolgsfans und Shrimp Cocktails. Beruhigen mag einen in Anbetracht des Ausmaßes gruppenbezogenen Hasses einzig, dass die Hörstmann Unternehmensgruppe als Herausgeber der Zeitschrift auch für die Imbissstände in der Red Bull Arena verantwortlich ist. Nie passte das Diktum Adornos besser, dass jeder sich selbst ein Würstchen ist (1974: 660).

Nun ist es meistens so, dass Menschen, die ihre Zeitschrift erfolgreich verkaufen wollen die eine oder andere populäre Welle reiten müssen. Der Stern erklärt einem, wie man seinen Darm fit bekommt, der Spiegel geizt nicht mit Hitler-Titelbildern und die 11Freunde führt eben den Abwehrkampf gegen den synthetischen Fußball. Allerdings ist es schon beängstigend, wie identitär sich die Redaktion glaubt geben zu müssen – etwa im Interview mit RB-Sportdirektor und -Trainer Ralf Rangnick. Dem “Magazin für Fußballkultur” mag man dabei zugestehen, dass sie die Integration der Kultur in Verwertungszusammenhänge (Jameson, s.o.) nicht anerkennen wollen, wenn Sätze wie “Eines der wichtigsten Elemente der Fußballkultur ist die unverwechselbare Identität der Klubs” (Biermann 2015) fallen. Allerdings kann man sich nicht mehr auf Naivität berufen, wenn man ungeachtet dessen einen “Sündenbock” stilisiert und auf ihn eindrescht. Gerade affirmative Fußballnerds wissen wie es in anderen europäischen Ligen bereits aussieht. Eine solche Beobachtung könnte dazu anregen, die „Kommerzialisierung des Fußballs” als globale und subjektunabhängige Entwicklung zu erkennen, die nicht dadurch aufzuhalten ist, dass man einen Fußballtrainer beschuldigt „den deutschen Fußball kaputt zu machen” (Biermann 2015). Ralf Rangnick brachte einst die Viererkette in die Bundesliga, in den Friedrichshainer Redaktionsräumen hängen vermutlich die Poster von Jürgen Kohler und Dieter Eilts.

„Eure scheiß Stimmung, da seid ihr doch dafür verantwortlich, nicht wir”, das sind so schmerzhafte Worte, dass sie höchstens noch Rudi Völler zuzutrauen wären. Dabei könnte man Ulli Hoeneß dafür danken, dass er die Verblendungszusammenhänge im Verhältnis von Verein und Fans nicht reproduziert. Was beide eint ist der Wunsch nach Erfolg – jeder Spieler will mit seiner Mannschaft gewinnen und jeder Fan will, dass die eigene Mannschaft gewinnt. Wenn es dann aber mal nicht so läuft, müssen Alternativen her, die man affirmieren kann –etwa die Jungfräulichkeit des eigenen Vereins, in dem auch 2016 noch zu 100% die Mitglieder entscheiden und nicht der, am Ende sogar noch ausländische, Investor.

In diversen Fanszenen stößt ein solches Freund-Feind-Denken natürlich auf Resonanz. Es gibt Angriffe auf Fans und das Mannschaftshotel des RB Leipzig, T-Shirts mit der Aufschrift „Rattenball” oder „Schädlingsbekämpfer” richten sich gegen den Club und regelmäßig wird zum Boykott von Spielen der eigenen Mannschaft gegen Rasenballsport aufgerufen (vgl. u.a. Jungle World 34/2010; 27/2015, Bonjour Tristesse 2015). Niemand erwartet Wertableitungsdebatten auf Kurventransparenten, aber wer einem Fan von RB Leipzig die Fresse polieren will oder ihn als Personifikation des kommerzialisierten Fußballsports verteufelt, der hat verkannt, dass er nicht weniger verstrickt ist in den Verwertungszusammenhängen unserer Gesellschaft wie sein Pendant.

von Simon Dudek & Thomas Müller

Literaturverzeichnis

  • Adorno, Theodor W. (1974). Noten zur Literatur (Vol. 11). Suhrkamp.
  • Biermann, Christoph (2015): Machen Sie den deutschen Fußball kaputt, Ralf Rangnick?. In: 11Freunde Vol. 11. Auch hier: http://www.11freunde.de/interview/machen-sie-den-deutschen-fussball-kaputt-ralf-rangnick.
  • Bonjour Tristesse (2015): Volkssport Bullenjagd. https://bonjourtristesse.wordpress.com/2015/10/19/volkssport-bullenjagd/
  • Feuerherdt, Alex (2010): Für den modernen Fußball. In: Jungle World 34/2010.
  • Gensing, Patrick & Andrej Reisin (2013): Der Präventivstaat. Warum Gesundheits-, Kontroll- und Verbotswahn Freiheit und Demokratie gefährden. Lingen (Verlag Lingen Stiftung).
  • Haury, Thomas (1992): Zur Logik des bundesdeutschen Antizionismus. In: Poliakov, Léon: Vom Antizionismus zum Antisemitismus. Freiburg (Ça ira): 125 – 159.
  • Jameson, Fredric (1989): Postmoderne – zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus. In: Huyssen, Andreas & Klaus Scherpe: Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels. Reinbeck (Rowohlt): 45-102.
  • Jameson, Fredric (1991): Postmodernism, or, the cultural logic of late capitalism. Duke (University Press).
  • Jessop, Bob (2007): Raum, Ort und Maßstäbe. Territorialisierungsstrategien in postfordistischen Gesellschaften. In: Kessl, Fabian & Hans-Uwe Otto (2007): Territorialisierung des Sozialen. Regieren über soziale Nahräume. Leverkusen (Barbara Budrich): 25 – 55.
  • Kohlhaas, Daniel (2009): Fußball und Gesellschaft. Die Entwicklung des Fußballspiels aus soziokultureller Sicht. Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen. Universität Siegen.
  • Schindler, Fredrik (2015): Spielt nicht mit Juden! In: Jungle World 27/2015.
  • Vert&Blanc (2014): Mehr selbstbestimmte Künstlichkeit. http://vert-et-blanc.net/2014/mehr-selbstbestimmte-kuenstlichkeit/.

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